Euglykäme Ketoazidose – ein Kolibri, der zur Taube werden könnte

2021 ◽  
Vol 146 (19) ◽  
pp. 1265-1269
Author(s):  
Daniela Kampmeyer ◽  
Friedhelm Sayk

Was ist neu? Gliflozine/SGLT2-Hemmer: Shooting-Stars in Diabetologie, Kardiologie und Nephrologie Gliflozine wurden als Antidiabetika entwickelt. Sie blockieren den sodium-glucose linked transporter 2 (SGLT2) im proximalen Nierentubulus und führen zu Glukosurie und Natriurese. Unabhängig vom Vorliegen eines Diabetes mellitus zeigen aktuelle Phase-III-Studienergebnisse zur SGLT2-Hemmer-Therapie einen prognostischen Benefit bei Patienten mit Herz- und/oder Niereninsuffizienz bezüglich kardiovaskulärer Ereignisse, Hospitalisierung und Tod. Damit ergibt sich eine Ausweitung der Indikation auf große, oft polymorbide Patientenkollektive mit genuin hohem Risiko für katabole Episoden und akute Organdysfunktion. Ketoazidose unter SGLT2-Hemmern SGLT2-Inhibitoren induzieren eine hungerähnliche Ketogenese. Unter katabolen Umständen wie kritische Erkrankung, Dehydrierung, perioperative Nüchternperiode oder „low-carb“-Fastendiät kann diese zu einer lebensbedrohlichen euglykämen Ketoazidose entgleisen. Hierzu tragen vermutlich die vermehrte Rückresorption von Ketonkörpern aus dem Primärharn sowie die Blockade von SGLT2-Rezeptoren auf α-Zellen des endokrinen Pankreas bei. Dies führt zur verstärkten Glukagonsekretion, die konsekutiv die Lipolyse und Ketogenese steigert. Die Inzidenz der euglykämen Ketoazidose als SGLT2-Nebenwirkung lag bislang bei 1–2 pro 1000 Behandlungsjahre. Belastbare „real-life“-Daten für das Risiko einer euglykämen Ketoazidose der neuen Indikationsgruppen liegen noch nicht vor; eine gute Kenntnis dieses Krankheitsbildes ist für die Intensiv- und Notfallmedizin zunehmend relevant. Das klinische Bild der euglykämen Ketoazidose ist ähnlich der klassischen diabetischen Ketoazidose bei Typ-1-Diabetes. Oft sind die Blutzuckerspiegel dabei hochnormal (nahezu euglykäm). Im Urinbefund zeigt sich trotz Euglykämie eine exzessive Glukosurie, während die Ketonkörper-Diagnostik falsch negativ ausfallen kann. Therapieansätze Der Blutzucker sollte bei euglykämer Ketoazidose durch gleichzeitige Insulin- und Glukoseapplikation zunächst auf leicht erhöhten Werten gehalten werden, um den intrazellulären Glukosebedarf zu decken und die Ketogenese zu unterbrechen. Der Volumenmangel wird durch balancierte kristalloide Infusionen ausgeglichen. Hierbei sind insbesondere das Risiko von Hypokaliämien sowie geminderte Volumentoleranz bei chronisch herz- und/oder nierenkranken Patienten zu beachten. Bei akuter Erkrankung und vor operativen Eingriffen sollten SGLT2-Inhibitoren vorsorglich pausiert werden („sick day break“).

2019 ◽  
Vol 14 (02) ◽  
pp. 124-131
Author(s):  
Raphael Gutzweiler ◽  
Marlies Neese ◽  
Dorothea Reichert ◽  
Laura Kraus ◽  
Tina In-Albon

Zusammenfassung Einleitung Typ-1-Diabetes (T1D) im Kindes- und Jugendalter ist eine häufige und zunehmende chronische Erkrankung. Um Bedürfnissen Betroffener in Kindergarten und Schule gerecht zu werden, sind strukturierte Fortbildungen für pädagogische Fach- und Lehrkräfte erforderlich. In Deutschland gibt es bislang keine standardisierten Seminare zum Umgang mit T1D bei Kindern und Jugendlichen, die in Weiterbildungsveranstaltungen für pädagogische Fach- und Lehrkräfte aufgenommen wurden. Initiiert durch den Verein „Hilfe für Kinder und Jugendliche bei Diabetes mellitus e. V.“, fanden im Rahmen eines Pilotprojekts 41 Seminare in Rheinland-Pfalz statt. Material und Methoden Die teilnehmenden pädagogischen Fach- und Lehrkräfte (N = 825) füllten vor und nach dem Seminar sowie nach 6 Monaten Fragebögen zum Kompetenzerleben und zum Wissensstand aus. Zudem wurde direkt nach dem Seminar eine Einschätzung der Seminarinhalte erhoben. Ergebnisse Es zeigte sich eine hohe Akzeptanz der Seminare durch die Teilnehmer*innen. Im Vergleich zum Stand vor dem Seminar verfügten die pädagogischen Fach- und Lehrkräfte im Anschluss über mehr diabetesspezifisches Wissen (Cohens d = 1,34), das nach sechs Monaten (d = 1,3) auf einem stabil hohen Niveau blieb. Die selbsteingeschätzte Kompetenz im Umgang mit T1D stieg mit dem Besuch des Seminars deutlich an (d = 1,67), nahm im Katamnesezeitraum ab (d = – 0,38), blieb jedoch weiterhin auf einem höheren Niveau als vor Beginn des Seminars (d = 1,17). Diskussion Die Ziele des Pilotprojekts können mit der Steigerung des diabetesspezifischen Wissens und der selbsteingeschätzten Kompetenz im Umgang mit T1D bei den teilnehmenden pädagogischen Fach- und Lehrkräften als erreicht angesehen werden. Die Aufnahme von Seminaren in die Regelfortbildung der pädagogischen Fach- und Lehrkräfte kann diese im Umgang mit T1D unterstützen und zur besseren Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit T1D beitragen.


2011 ◽  
Vol 68 (12) ◽  
pp. 699-706 ◽  
Author(s):  
Roger Lehman ◽  
Philippe A. Gerber

Mit der Entscheidung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), ab 1. Juli 2010 alle möglichen Formen der Insel- und Pankreastransplantation als obligatorische Krankenkassenleistung bei Typ 1-Diabetes mellitus zu erklären, hat die Fragestellung, wann, bei welchen Patienten und unter welchen Umständen eine solche Transplantation empfohlen werden kann, einen ganz anderen Stellenwert bekommen. Initial wurde die Inseltransplantation als neue Therapieform bei Patienten mit Typ 1-Diabetes und guter Nierenfunktion durchgeführt, wobei die Vorteile dieser Therapie einer lebenslangen Immunsuppression mit all ihren assoziierten Nebenwirkungen und Komplikationen gegenübergestellt werden müssen. Aufgrund des ausgeprägten Organmangels kam es mit der Zeit zu einem Paradigmenwechsel: Das Hauptziel, welches mit der Inseltransplantation verfolgt wird, ist nicht mehr unbedingt eine Insulinunabhängigkeit, sondern eine gute Blutzuckerkontrolle unter Vermeidung von schweren Hypoglykämien. Dieses Ziel kann in 80 - 90 % aller Patienten, welche eine Inseltransplantation erhalten, erfüllt werden, auch wenn weiterhin geringe Dosen von Insulin injiziert werden müssen. Die lebenslang notwendige Immunsuppression hingegen limitiert diese praktisch komplikationslose Therapieform auf Patienten, welche eine andere Organtransplantation benötigen, oder trotz optimierter Diabetesbehandlung lebensbedrohliche Hypoglykämien erleiden. Die häufigste Indikation bei uns sind Patienten mit einer chronischen dialysepflichtigen Niereninsuffizienz und einem Typ 1-Diabetes mellitus. Diese Patienten sollten auf die Möglichkeit einer kombinierten Insel-Nierentransplantation oder Pankreas-Nierentransplantation aufmerksam gemacht werden. Die Wahl, ob eine Insel- oder Pankreastransplantation in Frage kommt, hängt in aller erster Linie vom Ausmaß der kardiovaskulären Begleiterkrankungen ab, die wiederum mit Diabetesdauer, Alter und Qualität der Blutzuckereinstellung zusammenhängen. Aufgrund des Organspenden-Mangels gewinnt die Option der Lebendnierenspende, welche sekundär mit einer Insel- oder Pankreastransplantation ergänzt wird, immer mehr an Bedeutung. Aufgrund der neuen BAG-Regelung besteht für eine kleine Gruppe von Patienten mit einem Typ 1-Diabetes mellitus ohne oder mit einer geringen diabetischen Nephropathie, welche unter häufigen und schweren, lebensbedrohlichen Hypoglykämien leiden, die Möglichkeit einer alleinigen Pankreas- oder Inseltransplantation. In diesem Artikel werden die Vor- und Nachteile der Insel- und Pankreastransplantation und die Indikation für den Betazell-Ersatz aufgrund der neuesten Datenlage diskutiert und ein neues Flussdiagramm für die Entscheidungsfindung Insel- oder Pankreastransplantation vorgestellt.


2020 ◽  
Vol 18 (02) ◽  
pp. 69-76
Author(s):  
Stephan Kress ◽  
Anja Borck ◽  
Ariel Zisman ◽  
Peter Bramlage ◽  
Thorsten Siegmund

ZUSAMMENFASSUNGDer BeAM-Wert ist ein kumulatives Maß der postprandialen Hyperglykämie. Er lässt sich aus der Blutglukosekonzentration vor dem Zubettgehen (Be) und der darauf folgenden Nüchternglukose am Morgen (AM) errechnen. In zwei retrospektiven Auswertungen von Daten aus Phase-III- und -IV-Studien wurde der Nutzen des BeAM-Wertes als Entscheidungshilfe für den Beginn der intensivierten Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes mellitus (T2DM) Patienten unter basalinsulinunterstützter oraler Therapie (BOT) dargelegt. Bei Patienten, deren Therapie von einer oralen antidiabetischen Therapie (OAD) auf eine basalinsulinunterstützte orale Therapie umgestellt wird, steigen Ausmaß der postprandialen Hyperglykämie und der BeAM-Wert an bei gleichzeitig sinkendem HbA1c-Wert und Nüchternglukose. Nach Umstellung auf eine intensivierte Insulintherapie fällt der BeAM-Wert und das Ausmaß der postprandialen Hyperglykämie geht zurück. Insbesondere Patienten mit einem BeAM-Wert > 50 mg/dl profitieren von der Umstellung auf eine intensivierte Insulintherapie. Ein negativer BeAM-Wert spricht gegen den Einstieg in die prandiale Insulintherapie.


2012 ◽  
Vol 7 (S 01) ◽  
Author(s):  
B Bartus ◽  
C Kastendieck ◽  
M Meusers ◽  
E Molz ◽  
U Schimmel ◽  
...  

2013 ◽  
Vol 8 (S 01) ◽  
Author(s):  
G Kramer ◽  
B Sanow ◽  
N Müller ◽  
C Kloos ◽  
G Wolf ◽  
...  

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