Die soziologische Beobachtung der Theorie und der Praxis des Rechts

2021 ◽  
Vol 24 (1-2) ◽  
pp. 157-175
Author(s):  
Niklas Luhmann

Zusammenfassung Bislang gibt es keine zufriedenstellende Soziologie der Rechtstheorie und damit auch keine Soziologie des Rechtssystems. Hier bieten die Theorie autopoietischer Systeme, die Beobachtungstheorie sowie das Konzept einer selbstreferentiellen Logik neue Möglichkeiten: Gesellschaftliche Funktionssysteme können als sich über binäre Codierungen ausdifferenzierende und insofern paradoxal begründete selbstreferentielle Kommunikationszusammenhänge beschrieben werden. Während die Selbstbeobachtung des Rechts in Form der Rechtstheorie und der Rechtsdogmatik die binäre Codierung ihres Funktionssystems mitvollziehen müssen, kann die Soziologie als wissenschaftlicher Fremdbeobachter die systemkonstituierende Paradoxie wiederum thematisieren. Dadurch können eine Reihe bekannter rechtstheoretischer und rechtssoziologischer Themenstellungen neu behandelt werden: Das Problem der Faktizität normativer Geltung, das der Positivität des Rechts sowie dessen zunehmende Folgenorientierung. Damit steht die soziologische Beobachtung letztlich in der Nähe zu solchen Traditionen des Rechtsdenkens, die sich mit den Unschärfen in der Selbstbeobachtung des Rechts, also den Problemen der Selbstbegründung beschäftigt haben: der Derogationstheorie und der Gewalttheorie. Die Selbstbeobachtung konzeptionell mitberücksichtigende Systemtheorie kann diese Theorien wiederum nach ihrer Funktion befragen.

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