Soziale Systeme
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(FIVE YEARS 1)

Published By Walter De Gruyter Gmbh

2366-0473, 0948-423x

2021 ◽  
Vol 24 (1-2) ◽  
pp. 217-231
Author(s):  
Niklas Luhmann

Zusammenfassung Ausgehend von einem strikt auf Kommunikation bezogenen Verständnis von Gesellschaft, das eine Kommunikation mit Außergesellschaftlichem ausschließt, fragt der Text nach den Folgen für das Gottesverständnis, insbesondere der theologischen Annahme der Möglichkeit einer Kommunikation mit Gott. Es lassen sich in der Geschichte unterschiedliche Lösungsversuche unterscheiden. Sowohl Naturreligionen wie der Deismus des 18. Jahrhunderts haben einen nichtkommunizierenden Gott postuliert, der sich in der Natur bzw. der gesellschaftlichen Ordnung offenbart. Die Offenbarungstheologie überzeugt aufgrund der zunehmenden Komplexität der Gesellschaft im 18. Jahrhundert, in dem sich das Phänomen der Inkommunikabilität aber nicht nur auf die Religion beschränkt, nicht mehr. Mit der Ausdifferenzierung funktional differenzierter, binär codierter Kommunikationszusammenhänge geht der Ausschluss dritter Werte einher. Gott kann dann als Wiedereinführung des Ausgeschlossenen verstanden werden, er kommt auf beiden Seiten der Unterscheidung – gut/böse, arm/reich usw. – vor. Das ermöglicht aber keine adäquate Beschreibung der dann möglichen Kommunikation, wie auch unklar bleibt, für was ein solcher Gott in der Gesellschaft noch zuständig ist. Die Idee des schweigenden Gottes hat das 19. Jahrhundert nicht überlebt; zeitgleich mit der Idee der Evolution, die von Differenz statt von Einheit ausgeht, übernimmt nun in der Theologie das Konzept der auch durch Gott nicht überblickbaren Schöpfung die Themenführerschaft. Dadurch wird die Figur des schweigenden Gottes ersetzt, nicht aber das Konzept der Offenbarung, obwohl die funktionale Ausdifferenzierung des Gesellschaftssystems den Offenbarungsgedanken zunehmend marginalisiert.


2021 ◽  
Vol 24 (1-2) ◽  
pp. 50-70
Author(s):  
Niklas Luhmann
Keyword(s):  

Zusammenfassung Betrachtet man die modernen Gesellschaftsbeschreibungen, so kann man auf einer wissenssoziologischen Ebene der Beobachtung 2. Ordnung feststellen, dass diese im Unterschied zur alteuropäischen Tradition die Einheit der Gesellschaft ihrer internen Differenzierung entgegengesetzt, also Einheit trotz Differenz behauptet haben. Dies gilt bei allen Unterschieden sowohl für die Selbstbeschreibungen der stratifikatorisch differenzierten Gesellschaft wie für die Gesellschaftsmodelle der funktional differenzierten Gesellschaft. Von diesen Vorstellungen unterscheidet sich eine Theorie der Gesellschaft, die Gesellschaft nicht mehr als eine (intern differenzierte) Einheit, sondern als (je unterschiedliche) Differenz zur Umwelt versteht und dabei nicht annimmt, dass es eine Übereinstimmung von Differenzen in System und Umwelt gibt. Dazu wird auf die Formentheorie Spencer Browns, das Autopoiesistheorem (operationale Geschlossenheit) und das re-entry-Konzept zurückgegriffen, die als Grundbegriffe einer solchen Gesellschaftstheorie den der Kommunikation als dreistellige Differenz und Sinn als Medium/Form-Unterscheidung nahelegen. Auf dieser Basis kann die Gesellschaftstheorie die Selbstbeschreibungen der Gesellschaft beschreiben, indem sie Frage nach dem Beobachter bzw. nach der anderen Seite der Unterscheidung stellt: wovon unterscheidet sich die Gesellschaft?


2021 ◽  
Vol 24 (1-2) ◽  
pp. 18-29
Author(s):  
Niklas Luhmann

Zusammenfassung Die Systemtheorie gehört zu den Eigenwerten moderner Intellektualität, die die Bedingungen des Sich-selbst-Erzeugens und damit die Kontingenz ihrer Beobachtungen selbst noch reflektiert. Die frühe Systemtheorie mit ihrem Konzept umweltoffener Systeme hinterließ zunächst die unbeantwortete Frage, wie Systeme sich gegenüber ihrer Umwelt erhalten können. Diese Theorielücke wurde erst durch Kombination der Konzepte von Autopoiesis, operationaler Schließung und struktureller Kopplung selbstreferentieller Systeme geschlossen. Damit entdeckt die Systemtheorie zugleich ihre epistemologischen Konsequenzen, die sie ganz in die Nähe der Husserl’schen Phänomenologie des Bewusstseins führt und die es ihr ermöglicht, sich als autologischer Beobachter (in) der Gesellschaft zu begreifen. Für alle Weltbeschreibung kann dann keine privilegierte Position mehr behauptet werden, die Realität selbst erschließt sich nur noch auf der Ebene der Beobachtung von Beobachtern.


2021 ◽  
Vol 24 (1-2) ◽  
pp. 157-175
Author(s):  
Niklas Luhmann

Zusammenfassung Bislang gibt es keine zufriedenstellende Soziologie der Rechtstheorie und damit auch keine Soziologie des Rechtssystems. Hier bieten die Theorie autopoietischer Systeme, die Beobachtungstheorie sowie das Konzept einer selbstreferentiellen Logik neue Möglichkeiten: Gesellschaftliche Funktionssysteme können als sich über binäre Codierungen ausdifferenzierende und insofern paradoxal begründete selbstreferentielle Kommunikationszusammenhänge beschrieben werden. Während die Selbstbeobachtung des Rechts in Form der Rechtstheorie und der Rechtsdogmatik die binäre Codierung ihres Funktionssystems mitvollziehen müssen, kann die Soziologie als wissenschaftlicher Fremdbeobachter die systemkonstituierende Paradoxie wiederum thematisieren. Dadurch können eine Reihe bekannter rechtstheoretischer und rechtssoziologischer Themenstellungen neu behandelt werden: Das Problem der Faktizität normativer Geltung, das der Positivität des Rechts sowie dessen zunehmende Folgenorientierung. Damit steht die soziologische Beobachtung letztlich in der Nähe zu solchen Traditionen des Rechtsdenkens, die sich mit den Unschärfen in der Selbstbeobachtung des Rechts, also den Problemen der Selbstbegründung beschäftigt haben: der Derogationstheorie und der Gewalttheorie. Die Selbstbeobachtung konzeptionell mitberücksichtigende Systemtheorie kann diese Theorien wiederum nach ihrer Funktion befragen.


2021 ◽  
Vol 24 (1-2) ◽  
pp. 300-301

2021 ◽  
Vol 24 (1-2) ◽  
pp. V-XI

2021 ◽  
Vol 24 (1-2) ◽  
pp. 186-197
Author(s):  
Niklas Luhmann

Zusammenfassung Die verbreitete Wahrnehmung einer Krise des Wohlfahrtsstaates hat mit fehlgehenden gesellschaftstheoretischen Prämissen in Form einer gesellschaftlichen Suprematie der Politik wie dem dominanten Einfluss der Wirtschaft auf die gesamtgesellschaftliche Entwicklung zu tun. Eine adäquate gesellschaftstheoretische Beschreibung legt dagegen ein anderes Verständnis nahe. Danach hat sich zunächst der Verfassungsstaat als eine Stabilisierung des politischen Systems über das Prinzip der Eliminierung von Abweichungen von gegebenen Erwartungslagen herausgebildet. Der Wohlfahrtsstaat dagegen basiert auf dem Prinzip eines positiven Feedbacks. Die Theorie selbstreferentieller Systeme gibt hier erste Hinweise, dass die Probleme des Wohlfahrtsstaates auf die interne Differenzierung des politischen Systems, die Selbstüberforderung der Implementationsinstrumente Geld und Recht sowie die mit der Struktur der Gesellschaft verbundenen Komplexitätsprobleme in den entsprechenden Entscheidungsprozessen zurückgeführt werden können. Damit wird die Frage der Selbstbeobachtungsfähigkeit der Gesellschaft und speziell des politischen Systems zentral. Die Theorie des Verfassungsstaats hatte den gesellschaftsstrukturell bedingten Verzicht auf politische Wirkungsmöglichkeiten als Freiheit beschrieben; inwiefern unter denselben Bedingungen eine Theorie des Wohlfahrtsstaates entwickelt und in die Politik zurückgespiegelt werden kann, ist zunächst offen.


2021 ◽  
Vol 24 (1-2) ◽  
pp. 198-216
Author(s):  
Niklas Luhmann

Zusammenfassung Wenn man Religion als gesellschaftliches Kommunikationssystem beschreiben will, müssen zunächst einige system- und sinntheoretische Voraussetzungen geklärt werden. Auf dieser Grundlage kann die Frage nach der gesellschaftlichen Funktion der Religion bestimmt werden als Behandlung der Paradoxie des in sinnhafter Kommunikation mitlaufenden Unbestimmten des Bestimmten. Der evolutionäre Erfolg der Religion unter sehr verschiedenen gesellschaftsstrukturellen Bedingungen lässt sich darauf zurückführen, dass die Religion Duplikate der gesellschaftlichen Unbestimmtheiten erzeugt und dafür eigene Umgangsformen mit systemrelativen Ungewissheiten entwickelt. So wird der Offenheit der eigenen Sinnverweisungen durch die Etablierung eines spezifischen binären Codes (Immanenz/Transzendenz) Rechnung getragen. Historisch lässt sich dabei eine zunehmende Abstraktion des Negativwertes beobachten, der erst die gesamte Welt für die Religion zugänglich werden lässt. Die Frage nach der Einheit des Codes wird, nachdem zunächst die Grenze selbst tabuisiert wurde, dann durch die Erfindung des Symbolischen bearbeitet, bevor auch diese Lösung zunehmend in Frage gestellt wird. Neuerdings stellt sich der Eindruck ein, dass unter den Bedingungen zunehmender gesellschaftlich erzeugter Unsicherheit die etablierten Formen der Reformulierung der Unbestimmtheit in eine Krise geraten.


2021 ◽  
Vol 24 (1-2) ◽  
pp. 269-282
Author(s):  
Niklas Luhmann
Keyword(s):  

Zusammenfassung Temporalisierte, aus Operationen bestehende Systeme sehen sich vor das Problem des Dauerzerfalls gestellt, das sie nur dadurch lösen können, dass die Auswahl nächster Ereignisse hoch selektiv, aber nicht beliebig erfolgt. Sie benötigen dafür ein Gedächtnis. Für den Fall der aus Kommunikation bestehenden Gesellschaft übernimmt die Semantik als bewahrenswerter Sinn diese Funktion. Die hier vorgestellte These lautet, dass die moderne Orientierung an „Werten“ mit der funktionalen Differenzierung der modernen Gesellschaft zusammenhängt, während ältere, vorwiegend hierarchisch stratifizierte Gesellschaften in ganz anderer Weise auf die Selektionszwänge ihrer eigenen Komplexität reagiert hatten. Die mit der funktionalen Differenzierung einhergehende zunehmende Kontingenz macht die Einführung neuer „inviolate levels“ nötig, diesem Bedarf trägt die Wertsemantik Rechnung. Kennzeichnend für die moderne Gesellschaft ist dann, dass Werte als implizites Wissen unterstellt werden und es keine Werthierarchie gibt. Abschließend wird die These der höheren strukturellen Komplexität der funktional differenzierten Gesellschaft auf einer zweiten, konkreteren Ebene noch einmal aufgenommen: der des Wechselspiels der generellen Inklusion der Gesamtbevölkerung in die Funktionssysteme und der nur selektiven Inklusion in Organisationen. Inwiefern unter diesen Bedingungen zunehmend kontingenter Identitäten die Semantik der nicht weiter begründungspflichtigen Werte noch ihre Funktion erfüllt, muss offen bleiben.


2021 ◽  
Vol 24 (1-2) ◽  
pp. 121-139
Author(s):  
Niklas Luhmann

Zusammenfassung Ausgehend von der Theorie operational geschlossener Systeme und dem damit zusammenhängenden Informationsbegriff kann das Verhältnis solcher Systeme zu ihrer Umwelt über den Begriff der strukturellen Kopplung erläutert werden. Wenn man diese Konzepte auf das Verhältnis von Wirtschaft und Recht anwendet, können klassische Fragestellungen neu analysiert werden: So können Eigentum und Vertrag als evolutionär entstandene gesellschaftliche Einrichtungen der Kopplung beider Systeme verstanden werden, die einerseits Systemzustände und andererseits Systemereignisse koordinieren – und dies mit ganz unterschiedlichen Folgen für beide Systeme. Entsprechend gestaltet sich auch die Entwicklungsgeschichte der entsprechenden Semantiken im Zuge der funktionalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft. Die gesellschaftsevolutionär erfolgreiche Etablierung der Kopplungsformen bedeutet aber noch keine Zukunftsgarantie. Insbesondere vor dem Hintergrund der sich ändernden Temporalstrukturen der modernen Gesellschaft in der Form von Technikfolgen, der Ökologiefrage und der Sensibilisierung für Risiken wird vielmehr das geräuschlose Funktionieren der strukturellen Kopplungen, wie es z. B. die liberale Theorie von Eigentum und Vertragsfreiheit postulieren, zunehmend in Frage gestellt.


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