Komplexität, strukturelle Kontingenzen und Wertkonflikte
Zusammenfassung Temporalisierte, aus Operationen bestehende Systeme sehen sich vor das Problem des Dauerzerfalls gestellt, das sie nur dadurch lösen können, dass die Auswahl nächster Ereignisse hoch selektiv, aber nicht beliebig erfolgt. Sie benötigen dafür ein Gedächtnis. Für den Fall der aus Kommunikation bestehenden Gesellschaft übernimmt die Semantik als bewahrenswerter Sinn diese Funktion. Die hier vorgestellte These lautet, dass die moderne Orientierung an „Werten“ mit der funktionalen Differenzierung der modernen Gesellschaft zusammenhängt, während ältere, vorwiegend hierarchisch stratifizierte Gesellschaften in ganz anderer Weise auf die Selektionszwänge ihrer eigenen Komplexität reagiert hatten. Die mit der funktionalen Differenzierung einhergehende zunehmende Kontingenz macht die Einführung neuer „inviolate levels“ nötig, diesem Bedarf trägt die Wertsemantik Rechnung. Kennzeichnend für die moderne Gesellschaft ist dann, dass Werte als implizites Wissen unterstellt werden und es keine Werthierarchie gibt. Abschließend wird die These der höheren strukturellen Komplexität der funktional differenzierten Gesellschaft auf einer zweiten, konkreteren Ebene noch einmal aufgenommen: der des Wechselspiels der generellen Inklusion der Gesamtbevölkerung in die Funktionssysteme und der nur selektiven Inklusion in Organisationen. Inwiefern unter diesen Bedingungen zunehmend kontingenter Identitäten die Semantik der nicht weiter begründungspflichtigen Werte noch ihre Funktion erfüllt, muss offen bleiben.