Zeitkritik und Zukunftsutopie im Zeichen Nietzsches und Schopenhauers. Zum Geistesaristokratismus in Georg Heyms Essay Über Genie und Staat (im Kontext seiner Kleinen Schriften und Tagebücher)
In der essayistischen Skizze Über Genie und Staat (1912) aus Heyms letzter Lebensphase fallen markante Spannungsfelder auf: Individuum und Gesellschaft – Ohnmacht des Genies und öffentliche Macht – kulturelle Leistung und politische Herrschaft – Genius und Menschheit – Décadence und Vitalismus – Ordnung und Chaos – Gegenwartsmisere und Zukunftsutopie – Maskerade und Authentizität – Aristokratie und Massengesellschaft. Diese Themen prägen den Gedankengang in Heyms Essay Über Genie und Staat. In deutlicher Affinität zu Konzepten Nietzsches entfaltet er hier gesellschaftskritische Perspektiven und verbindet sie zugleich mit einer kulturpolitischen Utopie. Zunächst benennt Heym eklatante Missstände, die seines Erachtens für die Misere genialer Individuen verantwortlich sind: Da er die Genies unter dem Druck staatlicher Machtinstitutionen zur Wirkungslosigkeit verdammt sieht, formuliert er gemäß seiner eigenen Devise ,Genies an die Macht‘ eine utopische Alternative: ,,Igitur man biete dem, der sonst etwas Großes leistet, auch die politische Macht an. Ich glaube, er wird mit beiden Händen zugreifen. Das Bewußtsein verdienter Herrschaft muß ihm sicher eine Quelle starker und großer Lebensfreuden werden“, zumal er dadurch zugleich die nötigen Voraussetzungen erhält, um seine ,,besonderen Utopien“ auch ,,in Taten umzusetzen“ (2, 175).1