Literatur für Leser
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Published By Peter Lang, International Academic Publishers

0343-1657

2021 ◽  
Vol 41 (3) ◽  
pp. 211-223
Author(s):  
Moritz Baßler ◽  
Katharina Scheerer

Georg Heyms nachgelassene Erzählung Der Besuch des Marsmenschen oder Die drei Säulen des Staates aus dem Jahre 1911 ist nur eine Seite kurz und stellt uns Leserinnen und Leser des 21. Jahrhunderts doch vor zahlreiche Verstehensprobleme.1 Dabei handelt es sich keineswegs um einen jener unverständlichen Prosatexte, wie sie im Umfeld des Berliner Expressionismus, in dem wir uns hier bewegen, in diesen Jahren zu entstehen beginnen, Prosaminiaturen, die parallel zur zeitgleichen Abstraktion in der Malerei eine realistische Gegenständlichkeit von erzählter Welt, Figuren und Handlung verweigern. Fast ist das Gegenteil der Fall: Die erzählte Szene – der Erstkontakt eines irdischen Astronomen mit einem Marsbewohner – erscheint uns in vielen Details nur allzu vertraut. Wir haben das alles schon hundertmal gelesen oder gesehen: den schwarzromantischen Gelehrten nächtens allein in seinem Labor (bzw. hier Observatorium); das Vorbeiziehen eines langen Lebens im Augenblick des Todes; dass das Licht ausgeht und es kalt wird, wenn eine übersinnliche Erscheinung naht; und schließlich die Vorstellung eines Marsmenschen selbst – die Literaturwissenschaft spricht angesichts solcher abgenudelten Muster von ,Topoi‘.


2021 ◽  
Vol 41 (3) ◽  
pp. 199-210
Author(s):  
Roland Innerhofer
Keyword(s):  

Science Fiction war von Anfang an eine proteische, schwer abgrenzbare Gattung. Lange bevor sich die Gattungsbezeichnung seit Ende der 1920er Jahre in den Vereinigten Staaten durchsetzte, bildete sich spätestens seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine literarische Gattung heraus, die unter verschiedenen Bezeichnungen naturwissenschaftliche Entdeckungen und technische Erfindungen fiktional verarbeitete und ihre Ergebnisse in die Zukunft projizierte. Im Prozess der Gattungskonstitution ist ein vielgestaltiges Amalgamierungsverfahren zu beobachten, bei dem ältere Gattungen wie die Utopie, der phantastische Reiseroman, der Planetenroman, der Kriminalroman oder der Schauerroman miteinander neu kombiniert und mit technischen Zukunftsvisionen verbunden wurden. Besonders in der Zeit um 1900 waren die Schnittmengen zwischen Science Fiction, Phantastik und Esoterik beträchtlich und die Grenzen zwischen ihnen fließend. Dementsprechend bilden Autorinnen oder Autoren, die ausschließlich oder hauptsächlich Science Fiction schrieben, die Ausnahme. Nicht so sehr mit einer ,Genreliteratur‘ und ihren Autoren haben wir es in der Frühzeit der Science Fiction zu tun, sondern mit Science-Fiction-Diskursen und -Motiven, die in verschiedenartigen Texten eingeflochten sind. Vor diesem Hintergrund wollen wir zwei nachgelassene, 1911 entstandene Prosatexte von Georg Heym näher betrachten.


2021 ◽  
Vol 1 (1) ◽  
pp. 29-51
Author(s):  
Gerhard Sauder
Keyword(s):  

Auch Bücher altern – die meisten sogar schneller als ihre Leser. Die Bücherregale älterer Menschen, die solche Altertümer noch ihr eigen nennen, sind wie die Grabsteine auf Friedhöfen: Ihre Inschriften liest kaum noch ein Vorübergehender und der Friedhof ist ein Ort der Ruhe. Früher war das Schicksal älterer Bücher das Antiquariat, das ihnen ein vorzeitiges Ende zu ersparen suchte. Aber auch diese Institution stirbt allmählich aus – wer will noch alte Bücher? Von solchen Erfahrungen erzählt Inge Jens in ihrem letzten Buch Am Schreibtisch. Thomas Mann und seine Welt (2013). Sie erinnert darin an einen wenig bekannten Aspekt von Bergengruens Leben, seine Verbindung mit der ,,Weißen Rose“, der Inge Jens ein Buch gewidmet hat:


2021 ◽  
Vol 41 (3) ◽  
pp. 189-198
Author(s):  
Andreas Kramer

Heyms Prosatexte Die Novella der Liebe (1907), Kleines Viaticum für eine Dame (1910/11), Der Höhenmesser zeigte… (1911) und Das Geheimnis der Liebe (1911)1 befassen sich mit Erscheinungs- und Ausdrucksformen der Liebe zwischen Mann und Frau. Sie thematisieren dabei, in unterschiedlicher Gewichtung, sinnlich-erotische Bedürfnisse und Erlebnisse sowie gesellschaftliche und moralische Normen, denen das Handeln der Liebenden unterliegt oder die von ihnen überschritten werden. Mit dieser Themenwahl haben die Texte aus Heyms Nachlass sicher an der ,,erotischen Rebellion“ der literarischen Bohème im frühen 20. Jahrhundert teil.2 Zugleich verknüpfen sie die ,erotische Rebellion‘ mit vitalistischen Denk- und Ausdrucksformen, wodurch sie sich mit dem literarischen Expressionismus verbinden lassen.3 Wie stark Heyms literarisches Werk von vitalistischen Gedanken und Bildern geprägt ist, ist seit Gunter Martens’ Untersuchung bekannt.4 Im hier untersuchten Nachlasskorpus bilden Liebesbeziehungen zwischen Mann und Frau einen vitalistischen Topos: Die erotische Liebe erscheint als lebenssteigernde Erfüllung sinnlicher Bedürfnisse, zugleich als vitalisierte Todesmacht; beide Erscheinungsformen des erotischen Vitalismus werden als sinnhafter Ausdruck und Beglaubigung des machtvollen Lebensprozesses gedeutet. Hermann Korte warnt davor, vitalistische Perspektiven bei Heym bereits als politische oder gesellschaftliche Kritik zu begreifen.5 Dennoch, so die hier verfolgte These, kann man den sich in diesen Nachlasstexten manifestierenden erotischen Vitalismus als Herausforderung an die lebensunterdrückenden Wertvorstellungen der zeitgenössischen Kultur, v.a. die Normen der bürgerlichen Sexualmoral, verstehen. Ein Blick auf die Frauen- und Männerbilder in diesen Texten soll darüber hinaus zeigen, wie der antibürgerliche erotische Vitalismus mit Geschlechterstereotypen umgeht und ob seine Ausdrucksformen in der Nachlassprosa auch ästhetische Konventionen herausfordern.


2021 ◽  
Vol 1 (1) ◽  
pp. 1-28
Author(s):  
Simela Delianidou

Das Wissen der Literatur - so der Titel von Jochen Hörischs Studie von 20071 - weitet sich vermehrt in Wirtschaftskrisen auf das Thema ,,Ökonomie“ und ,,Armut“ aus, wie exemplarisch die deutschsprachige Literatur der Neuen Sachlichkeit in der Zwischenkriegszeit, aber auch einige Wirtschaftsromane seit der Finanzkrise 2008 belegen. Sie hinterfragen zunehmend Adam Smith’s Konzept der Oikodizee2, auch wenn die Mehrzahl der Wirtschaftstheoretiker und -historiker – Apologeten seiner liberalen Theorie – nicht müde werden zu betonen, dass der ,,Kapitalismus als zivilisierende Kraft, die […] Gesellschaft [nicht nur] wohlhabend, sondern auch die Menschen freier, friedlicher und besser“3 gemacht habe, ihm also immense Fortschritte zugeschrieben werden müssten, von denen ,,die vielen Menschen, die nicht einer gut gestellten Oberschicht angehören, in Bezug auf materielle Lebensverhältnisse und Überwindung der Not, gewonnene Lebenszeit und Gesundheit, Wahlmöglichkeiten und Freiheit“4 sonst ausgeschlossen wären. Jürgen Kocka konstatiert, dass die gegenwärtige Kritik am Kapitalismus im öffentlichen Diskurs vielfältig sei, wobei er sich vornehmlich für die ,,zunehmende Einkommens- und Vermögensungleichheit innerhalb des eigenen Landes interessiert als für die vielen Ungleichheiten zwischen den Ländern und Erdteilen“.5 Hans Falladas neusachlicher Roman Kleiner Mann – was nun? (1932) konzentriert sich in seiner Wirtschaftskritik auf diesen innenpolitischen Blick.


2021 ◽  
Vol 41 (3) ◽  
pp. 171-174
Author(s):  
Lars Amann

Die nachgelassene Prosa und Kleinen Schriften2 Georg Heyms blieben in der Forschung bislang unbeachtet als eigenständiger Werkteil, zurückgesetzt noch durch die selbst kaum besprochene publizierte Prosa. Grund dafür sein dürfte indirekt die fehlende Historisch-Kritische Ausgabe und ein gewisser Überblendungseffekt der prominenten Lyrik, v.a. aber die Charakteristik der Texte selbst: Alles das, was Heyms Lyrik zur ,Reinform‘ frühexpressionistischer Typik macht, eignet auch dem nicht-lyrischen Werk, ohne dass es diesem eine ähnliche rezeptive Wertschätzung eingetragen hätte. Der Lektüre haftet hier vielmehr der Beigeschmack eines Zuviel-des-Guten an, dessen, dass dort alles zu sehr sich in Typik suhlt, mit ihr sich schlecht bequemt. Der dadurch entstehende Eindruck des Dilettantischen bzw. Unreifen provoziert die Verbuchung der Prosa unterm literarisch Banalen. Reduktion auf Typisches aber nimmt den Text noch nicht für sich selbst bzw. unterschlägt seine Eigentlichkeit zugunsten von Ähnlichkeit. Versäumt wurde so die Einsicht, dass das ,extra‘ Typische in Heyms nicht-lyrischem Werk ein Phänomen lyrischer Art ist, das sich absetzen ließe vom banal Typischen vermöge der spezifischen Souveränität, der es nirgendwo entbehrt. Ingrid Heep stellt mit ihren frühen Formanalysen zur publizierten Prosa indirekt bereits den Beleg dafür, dass nach Abzug des Lyrischen vom Prosaischen eigentlich gar nichts übrigbleibt.3 Die Heymsche Form kommt nicht in den Inhalten an, geht nicht auf in deren sachlichem Sinn, sondern konterkariert ihn auf eine lyrisch-sinnliche Weise, die den Zugriff eigentümlich stört und gerade dadurch das Urteil der Inferiorität zu legitimieren scheint. Um das nicht-lyrische Werk Heyms adäquat analysieren zu können, muss es gedacht werden als ,gescheitert‘, das ,Scheitern‘ aber als ein poetisches, insofern es ein willig in Kauf genommenes ist. Das sei im Folgenden kurz skizziert.


2021 ◽  
Vol 41 (3) ◽  
pp. 175-188
Author(s):  
Frank Krause

Anfang der 1970er Jahre hatte Gunter Martens die vitalistischen Perspektiven des literarischen Werks von Georg Heym detailliert herausgearbeitet. Der Glaube, im gesteigerten Erleben der aktiven Erfüllung unabweisbarer Bedürfnisse offenbare sich der sinnstiftende Ursprung des Lebensprozesses, leitet Heyms Darstellungen spontaner Aufbrüche aus gefühlsarmer Sinnleere ebenso wie seine Diagnosen zerstörter Hoffnungen auf ein erfülltes Leben; noch Heyms Szenen der sinnlich faszinierenden Vernichtung lebensfeindlicher Stätten und seine paradoxen Motive einer vitalisierten Todesmacht, die eben jene berauschende Energie verausgabt, an denen es ihren Opfern mangelt, bewegen sich im Horizont vitalistischen Denkens.1


2021 ◽  
Vol 1 (1) ◽  
pp. 89-101
Author(s):  
Markus Fauser

Im Jahr 2003 veröffentlichte der Züricher Manesse Verlag ein schmales Bändchen unter dem Titel Auf Todt & Leben. Eine barocke Blütenlese. Auf wenig mehr als 120 Seiten hatte der Herausgeber Klaus G. Renner eine Auswahl zur Erinnerung an den im Dezember 2000 verstorbenen österreichischen Autor Hans Carl Artmann zusammengetragen, die sein Werk noch einmal ,,in seiner ganzen barocken Wucht“ präsentieren sollte und, so die Bauchbinde des kleinen Buches, dem Leser ,,Aberwitzige Aventüren des Wiener Erzpoeten“ versprach. Neben der bekannteren Prosa Der aeronautische Sindtbart und einigen Kapiteln aus dem 1959 erschienenen ersten Roman Von denen Husaren und anderen Seil-Tänzern mit seinen zahlreichen Schwänken und Kapriolen konzentrierte sich Renner vor allem auf die Hymnen, Epigramme und Elegien, die den Mittelteil seiner Auswahl einnehmen. Dort finden sich vier Treuherzige Kirchhoflieder, sodann alle Neun Epigrammata in Teutschen Alexandrinern und die XXV Epigrammata, die unter dem Titel Vergänglichkeit & Aufferstehung der Schäfferey den genannten frühen Roman beschlossen. Renners Auswahl geht zurück auf den Band ein lilienweißer brief aus lincolnshire, in dem Artmann den Ertrag aus zwanzig Jahren 1969 schon einmal selber gesammelt hatte. Nimmt man dazu noch die im gleichen Jahr 2003 von Klaus Reichert bei Jung und Jung in Österreich veröffentlichte Ausgabe Sämtliche Gedichte hinzu, dann darf man wohl das Bemühen konstatieren, gerade die spezielle Schreibweise, die typische Stilmimetik des Pastichekünstlers Artmann für die zeitgenössische Lyrik im neuen Jahrhundert sichtbar zu halten. Alle Autoren unserer Zeit, die mit einer Weiterführung frühneuzeitlicher Stile arbeiten, können in dem imposanten Werk genügend Anregung finden. Die Beschäftigung mit aktuellen Tendenzen auf diesem Felde sollte daher seine Vorleistung beachten. Und inwieweit die jüngeren Autoren das bei ihrem Rückgriff auch beherzigen, wäre eigens zu untersuchen.


2021 ◽  
Vol 41 (3) ◽  
pp. 225-238
Author(s):  
Wolfgang Braungart

Ohne Zweifel ist dies eine der ganz großen Fragen unserer Zeit: Was hält die Gesellschaft zusammen? Möglichst große Diversität ist ja wunderbar; aber wenn sie zum Kult wird, wird es schwierig. Nur noch ,,Singularitäten“: Das geht nicht gut und zerstört jede Gesellschaft.1 Wie können wir uns als zusammengehörig begreifen und auch erfahren über alle inneren Differenzierungen der Gesellschaft hinweg – und erst recht der Welt-Gesellschaft? Denn Gesellschaft ist nun einmal nicht Gemeinschaft, und sie wird auch nicht mehr zu einer solchen werden. Diese sozialkonservative Position ist Ideologie. Aber es kann geschichtliche Konstellationen geben, in denen eine sich in sozio-kulturelle Milieus und Funktionssysteme differenzierende, immer komplexer werdende Gesellschaft das Gemeinschaftliche dann doch (wieder-)entdecken muss – wie derzeit in der Corona-Pandemie und der nur noch von ganz Hartleibigen bestreitbaren Klima-Katastrophe. Bedenkt man dies, wird vielleicht auch ein an sich ziemlich bescheidener Text wie Georg Heyms Versuch einer neuen Religion interessanter, als es auf den ersten Blick scheinen mag.2 Denn diese Frage, was eine Gesellschaft zusammenhalten könnte, die auch Heyms Frage ist, wurde schon gestellt, als man die Dynamik kultureller und sozialer Differenzierungsprozesse erst zu ahnen und die Bedeutung dessen, was man bald ,Entfremdung‘ nennt, zu erkennen beginnt: am Beginn der Moderne, also nach 1789.


2021 ◽  
Vol 41 (3) ◽  
pp. 239-258
Author(s):  
Barbara Neymeyr

In der essayistischen Skizze Über Genie und Staat (1912) aus Heyms letzter Lebensphase fallen markante Spannungsfelder auf: Individuum und Gesellschaft – Ohnmacht des Genies und öffentliche Macht – kulturelle Leistung und politische Herrschaft – Genius und Menschheit – Décadence und Vitalismus – Ordnung und Chaos – Gegenwartsmisere und Zukunftsutopie – Maskerade und Authentizität – Aristokratie und Massengesellschaft. Diese Themen prägen den Gedankengang in Heyms Essay Über Genie und Staat. In deutlicher Affinität zu Konzepten Nietzsches entfaltet er hier gesellschaftskritische Perspektiven und verbindet sie zugleich mit einer kulturpolitischen Utopie. Zunächst benennt Heym eklatante Missstände, die seines Erachtens für die Misere genialer Individuen verantwortlich sind: Da er die Genies unter dem Druck staatlicher Machtinstitutionen zur Wirkungslosigkeit verdammt sieht, formuliert er gemäß seiner eigenen Devise ,Genies an die Macht‘ eine utopische Alternative: ,,Igitur man biete dem, der sonst etwas Großes leistet, auch die politische Macht an. Ich glaube, er wird mit beiden Händen zugreifen. Das Bewußtsein verdienter Herrschaft muß ihm sicher eine Quelle starker und großer Lebensfreuden werden“, zumal er dadurch zugleich die nötigen Voraussetzungen erhält, um seine ,,besonderen Utopien“ auch ,,in Taten umzusetzen“ (2, 175).1


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