B. Deutsche Demokratische Republik

2009 ◽  
Vol 55 (1) ◽  
pp. 25-40 ◽  
Author(s):  
Hans F. Zacher

Zusammenfassung Die Geschichte des Sozialstaates in Deutschland war von Anfang an, und ganz besonders seit 1945, in höchstem Maße eine Geschichte des Einschlusses, des Ausschlusses und der Offenheit. Entsprechend fand die Entwicklung des deutschen Sozialstaates ihren charakteristischen Ausdruck im Wandel der Reichweite, des Inhalts und der Gestalt des Einschlusses, des Ausschlusses und der Offenheit. Das nationalstaatliche Grundmuster hatte sich seit der Achsenzeit um 1800 gebildet. Die wesentlichen Elemente: Staatsgebiet; Staatsangehörige versus Fremde; Teilhabe durch Gebrauch der Freiheit versus Teilhabe durch soziale Leistungen. Nach 1933 fügte die nationalsozialistische Herrschaft dem nationalstaatlich Üblichen des Ausschlusses den willkürlichen Ausschluss durch die absolute Entrechtung der „Fremdrassigen“ und „Gemeinschaftsfremden“ hinzu, von 1939 an die imperialistische Perversion des Einschlusses und des Ausschlusses durch Unterwerfung und Vernichtung. Die historische Verantwortung dafür kennzeichnet seither und bis heute die spezifisch deutsche Arena des Einschlusses und des Ausschlusses.Nach 1945 maximierten darüber hinaus die Folgen des Kriegs die Nachfrage nach Einschluss, während die geschichtslosen Strukturen der Besatzungsherrschaft, der Zonen und der neuen Länder viele der Antworten neu zu erfinden hatten. Von 1949 an unterschieden sich die Konzepte von Einschluss, Ausschluss und Offenheit in den beiden deutschen Staaten grundlegend. Die Deutsche Demokratische Republik sah sich als ein im Inneren und nach außen geschlossener Staat. Die Bundesrepublik sah sich als ein im Inneren und nach außen offener Staat. Sie war nicht nur der Staat ihrer Einwohner. Sie war auch der Treuhänder des „ganzen Deutschland“ und versuchte so auch allen Staatsbürgern des Deutschen Reiches und den in seiner Verantwortung stehenden Volkszugehörigen Einschluss zu gewähren. Faktisch vor allem dann, wenn sie in ihr Gebiet zuwanderten oder in anderen Staaten den Schutz der Bundesrepublik einfordern konnten. Zugleich aber war die Bundesrepublik ein Staat von europäischer und weltweiter Offenheit, der bereit war und ist, Einschluss, Ausschluss und Offenheit nach gemeinsamen supranationalen oder internationalen Regeln zu gestalten.Die Doppelnatur der Bundesrepublik als deutscher Teilstaat und Treuhänder des Deutschen Reiches ist mit der Vereinigung weggefallen. Dagegen hat sich die europäische Integration des mitgliedstaatlichen und des gemeinschaftlichen Zusammenspiels von Einschluss und Ausschluss vertieft. Und die transnationale Dynamik der „globalen Welt“ hat der nationalstaatlichen Verantwortung ebenso wie der internationalen Mitverantwortung der Bundesrepublik für eine angemessene Ordnung des Einschlusses und Ausschlusses für möglichst alle Menschen größte Relevanz vermittelt.


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