Zeitschrift für Ideengeschichte
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Published By C.H. Beck

1863-8937

2021 ◽  
Vol 15 (4) ◽  
pp. 17-24
Author(s):  
Enrico Müller

Variatio delectat. Dem historisch interessierten Münzfreund ist der fünfzig Jahre währende Totentanz, der in der früheren Geschichtsschreibung gern als das «Zeitalter der Soldatenkaiser» angesprochen wurde, ein beglückend vielgestaltiges Feld. Er sieht sich einer zur «Weltkrise» aufgewerteten Dauerdepression des Römischen Reichs gegenüber, deren numismatische Zeugnisse ihn durch ihren Abwechslungsreichtum von etwa siebzig Kaisern und Kaiserinnen, Gegenkaisern und Separatisten gleichermaßen verwirren und erfreuen. Zwischen dem schicksalsträchtigen Sechskaiserjahr 235, in dem mit dem Thraker Maximinus der erste Berufssoldat zum Augustus ausgerufen wird, und der Machtübernahme eines dalmatischen Legionsführers namens Diocles 284 vergehen insgesamt kaum fünfzig Jahre. Angezeigt ist damit ein Zeitraum, in dem die galoppierende Münzverschlechterung des Leitnominals, des von Caracalla eingeführten Doppeldenars, nur noch durch die Geschwindigkeit in der Abfolge von Usurpationen übertroffen wird. Positiv gewendet ließe sich immerhin konstatieren, dass kein Imperium der Geschichte in so kurzer Zeit so viele Herrscher hervorgebracht hat.


2021 ◽  
Vol 15 (4) ◽  
pp. 69-84
Author(s):  
Michael Glasmeier
Keyword(s):  

Die deutsche Renaissance hat eine Fülle bemerkenswert extremer Bildäußerungen hervorgebracht. Neben den gemäßigten Albrecht Dürer oder Hans Holbein sind es beispielsweise Albrecht Altdorfer, Matthias Grünewald, Hans Schäufelin, Martin Schongauer oder Konrad Witz, die insgesamt zwischen Humanismus und Reformation, neuem Bürgertum und abgewirtschafteten Adel, Bildverehrung und Ikonoklasmus laborierten und mit teilweise möglichst unsublimierten Darstellungen die sinnliche und brutale Erfahrung von Körperhaftigkeit ins Zentrum ihres Wirkens stellen. Diesem Kreis ist auch der äußerst spezielle Hans Baldung Grien (1484/85–1545) zuzurechnen, dem unter dem Titel heilig | unheilig 2019 die große Landesausstellung in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe gewidmet war.


2021 ◽  
Vol 15 (4) ◽  
pp. 43-47
Author(s):  
Jochen Hörisch

Zu den Prunkzitaten gehört die Zeile aus Goethes 1820 veröffentlichtem Gedicht Urworte. Orphisch / Daimon von der «geprägten Form, die lebend sich entwickelt». Sie auf geprägte Münzen zu beziehen, mag abwegig erscheinen – obwohl der Schöpfer dieses Verses jahrzehntelang Finanzminister war und sich vielfach von Problemen der Münzprägung und der Emission von Papiergeld fasziniert zeigte. Die vorangehende Zeile, die beschwört, dass keine Zeit und keine Macht diese geprägte Form zerstückeln können, scheint jede ökonomische Lesart der Formel von der «geprägten Form» auszuschließen. Nicht ganz abwegig aber ist es, eine Passage aus Heinrich Heines 1826 erschienenen Reisebildern auf Goethes berühmtes Gedicht zu beziehen und als frivole Umschrift der klassischen Zeilen zu verstehen.


2021 ◽  
Vol 15 (4) ◽  
pp. 125-127
Author(s):  
Stephan Schlak

Magisch zogen Karl Heinz Bohrer gegenstrebige Sphären an. Als junger Redakteur der bürgerlichen F.A.Z. entflammte er für das schöne Wort der «Revolution» und sympathisierte mit dem Spektakel der Studentenrevolte. Später lehrte er Literaturwissenschaft in Bielefeld. Gleichzeitig schüttete er über die «Kohl-Republik» mit ihrer «Jägerzaun»-Mentalität und «Sprache in Aspik» seine bösen Glossen im Merkur aus. Der «Provinzialismus» hatte Bohrer in Gestalt der ostwestfälischen Steppe ereilt. Und was er dort an der Reformuni lehrte, war auch weniger Literaturwissenschaft als eben die radikale Eigengesetzlichkeit der Literatur, das im Bohrersound so berühmte «Inkommensurable», das er gegen alle Indienstnahmen mit Feuereifer verteidigte. Und noch ein wenig später, 1998, reiste er zum ersten Mal in seinem Leben nach Amerika. Als Gastprofessor in Stanford spürte er der «Jetzt-Heftigkeit» in Hölderlins Hymnen nach. Bohrer wie stets im Bann des «absoluten Präsens»!


2021 ◽  
Vol 15 (4) ◽  
pp. 48-52
Author(s):  
Gottfried Gabriel

Zwischen Prägung und Prägnanz besteht etymologisch eine enge Verbindung. Danach geht die Bedeutung von «prägnant» im Sinne einer knappen, treffenden und einprägsamen Darstellung auf «prägen» zurück. Umgekehrt kann dann eine Prägung auch prägnant sein. Das heißt, dass sie im Sinne der (auf das Lateinische zurückgehenden) Bedeutung von «prägnant» als «schwanger» (vgl. engl. «pregnant») im übertragenen Sinne «bedeutungsschwanger», nämlich «bedeutungsvoll» ist. Die Eichensymbolik auf deutschen Münzen liefert in diesem Sinne ein optisch einprägsames Beispiel für eine prägnante Prägung auf knappstem Raum. Wir haben es mit der Verdichtung einer Idee vor politischem Hintergrund zu tun, deren Tradition bis in die Anfänge des 19. Jahrhunderts zurückreicht.


2021 ◽  
Vol 15 (2) ◽  
pp. 44-54
Author(s):  
Bertrand Müller

Historiker und die Beteiligten selbst haben oft die Verbindung zwischen der Gründung der Annales d’histoire économique et sociale im Jahr 1929 und dem konkreten Ort, an dem dies geschah, betont – nämlich an der 1919 «wiedererlangten» Universität von Straßburg.1 Zwei Schritte des Neubeginns trafen hier zusammen: zum einen der der Universität, nach dem Krieg ein Hort der intellektuellen und politischen Hoffnungen und Illusionen, zum anderen der der Sozialwissenschaften, deren neues Fundament eine Zeitschrift sein sollte.2 Diese Verbindung zu ziehen ist jedoch problematisch, denn zur Gründung der Annales kommt es 1929, am Ende einer Phase, als ihre Väter schon dabei waren, gemeinsam mit anderen eine Universität zu verlassen, die zur «Normalität» zurückgekehrt war, ohne dass es dabei gelungen wäre, sie wieder vollständig in die Stadt und die Region einzubinden. Das Beispiel Straßburg wirft Fragen zu einer weiteren Verbindung auf: der zwischen der Ideengeschichte und der kurzen Zeitdauer, die eigentlich ihrem langen Gedächtnis zuwiderläuft.


2021 ◽  
Vol 15 (2) ◽  
pp. 69-94
Author(s):  
Danilo Scholz
Keyword(s):  

«In Pforta als die Felder leer waren und der Herbst kam.» --- Friedrich Nietzsche (Sommer 1875) Preußen polarisiert, damals wie heute. Im 19. Jahrhundert entzweiten sich europäische Beobachter in der Frage, ob die Hohenzollern-Monarchie an der Spitze des aufgeklärten Fortschritts marschiert oder ein unrühmliches Beispiel für die Kasernierung einer ganzen Gesellschaft abgibt. Nicht zuletzt in der Beurteilung der preußischen Bildungspolitik geriet man sich quer durch das politische Spektrum in die Haare. Henry Brougham, ein Vertreter der englischen Whig-Partei, der sich über Jahre hinweg dafür einsetzte, Kindern aus ärmeren Familien den Schulbesuch zu ermöglichen, verteufelte die Schulpflicht nach preußischem Vorbild. Ein solches Zwangssystem sei mit der britischen Freiheitsliebe nicht vereinbar. Die Erfolge der preußischen Bildungspolitik, die auch im Vereinigten Königreich zahlreiche Bewunderer fand, könnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Schulpflicht einem Land auf den Leib geschneidert ist, dessen Ordnung mit «Bajonetthieben» aufrechterhalten wird und einer «gigantischen Garnison» ähnelt. Kein Mensch in Großbritannien würde solche Drangsal tolerieren.


2021 ◽  
Vol 15 (3) ◽  
pp. 72-73
Author(s):  
Nikola Herweg

«Der Mensch muss sich eben Feinde machen, er muss vor sich bestehen können», schreibt Hilde Domin am 27. März 1982 an Jürgen Habermas. Sie, die engagierte Dichterin, bezieht dies auf sich, aber auch auf ihn, den zwanzig Jahre jüngeren Philosophen und Soziologen, dem sie freundschaftlich verbunden ist, dem sie mit ihrem Brief ihre «Verehrung und Bewunderung» versichert – und ihren Ärger über den «hämischen Artikel im SPIEGEL». Gemeint ist Karl Markus Michels Rezension von Habermas’ Theorie des kommunikativen Handelns. Der am 22. März 1982 unter dem karikierenden Titel «Nun sprecht mal schön!»nerschienene Text möchte, so Michel explizit, keine Würdigung sein. Denn: «Wer zum Schulterklopfen ausholt und nur die Wade trifft, sollte lieber gleich die Füße küssen.


2021 ◽  
Vol 15 (2) ◽  
pp. 125-128
Author(s):  
Béatrice von Hirschhausen

In einem kleinen Museum in Wörth, etwa 50 Kilometer nördlich von Straßburg gelegen, ruht der eindrucksvolle Bronzekopf des Deutschen Kaisers Friedrich III. in einer Vitrine. Er ist das Werk Max Baumbachs und das einzige Überbleibsel einer monumentalen Reiterstatue, die das Kaiserreich 1895 zur Erinnerung an den preußischen Sieg in der Schlacht bei Wörth errichten ließ – jener Schlacht, die im August 1870 durch die Niederlage der Truppen Napoleons III. den Weg zum deutschen Sieg ebnete. Mehr als 20 000 Leben kostete diese Schlacht an einem einzigen Tag: Deutsche, Franzosen, aber auch sogenannte «Turcos» – Soldaten, die aus den Kolonien Nordafrikas gerufen wurden, um in Frankreichs vordersten Linien zu stehen – fielen im Feld. Das Bildnis des reitenden Feldherren, der seine Truppen überlegen zum Sieg führte, überragte mit seinen zwölf Metern Höhe fast fünfzig Jahre lang das einstige Schlachtfeld.


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