,,GENTLE READER! — Lo, here a CAMERA OBSCURA is presented to thy view, in which are lights and shades dancing on a whited canvas, and magnified into apparent life!“220 Mit dieser Ansprache beginnt das lange Prosagedicht The Loves of the Plants, der zweite
Teil des insgesamt zwei Bände umfassenden Gedichtes The Botanic Garden (1791), in dem der Naturphilosoph, Arzt und Dichter Erasmus Darwin versucht, die damals neuen botanischen Erkenntnisse Carl von Linnés literarisch darzustellen. Eine solche Zusammenführung von bahnbrechender
naturwissenschaftlicher Forschung und literarischer Sprache entpuppt sich auf mehreren Ebenen als ein gewagtes Experiment. Im Zentrum von Darwins Text steht das in Systema Naturae (1735) formulierte Klassifizierungssystem Linnés, der die Aufteilung in männliche und weibliche
Pflanzenteile zur Grundlage seiner Taxonomie machte. Im 18. Jahrhundert rückte somit die Sexualität von Pflanzen – und insbesondere der Blüten, da u.a. Anzahl und Anordnung von Stempel und Staubblättern die sexuelle Kategorisierung bestimmte221 –
auf eine Weise in den Mittelpunkt, die Linné und anderen Vertretern der These der Pflanzensexualität wiederholt den Vorwurf der Obszönität einbrachte.222 Darwins Projekt einer Literarisierung der neuen Botanik kreuzt sich dabei mit Linnés Anliegen, die
Sexualität der Pflanzen immer wieder in Analogie zur menschlichen Sexualität zu setzen: ,,Linnaeus consistently went beyond biological analogies in order to import social analogies into his descriptions of plant life.“223 Während Linné somit
auf revolutionäre Weise die Botanik in einen Diskurs transformiert, in dem Sexualität und Geschlechterrollen verhandelbar werden, kleidet Darwin wiederum diese radikalen Ideen in eine dichterische Sprache, die überaus konventionell ist. Darwins Lehrgedichte stehen am Ende einer
Lyriktradition, als deren herausragender Vertreter Alexander Pope gilt.224 Bereits wenige Jahre nach Erscheinen seiner Gedichte wirkt sein Stil für die nachfolgende Generation überlebt und altmodisch – Coleridge findet sich ,,nauseate[d]“225 angesichts
Darwins Lyrik, während Byron ,,flimsy DARWIN“ als ,,the mighty master of unmeaning rhyme“226 abkanzelt. Auch wenn eine gewisse Ermüdung bei der Lektüre der sturen Gleichmäßigkeit des Reimschemas durchaus verständlich ist, möchte die
folgende Auseinandersetzung mit The Loves of the Plants nicht nur die Radikalität der von Darwin rezipierten Ideen berücksichtigen, sondern auch herausarbeiten, welche Komplexität das Gedicht als ein literarischer Text bietet. Hierzu gehört auch die Form dieses Poem
with Philosophical Notes, das eine Zweiteilung in die lyrische Darstellung und einen Fußnotenapparat mit wissenschaftlichen Anmerkungen vornimmt.