Für bestehende Spannbetonbrückenträger mit geringen Schubbewehrungsgraden kann nach den derzeit gültigen normativen Berechnungsansätzen in Österreich und Deutschland in den meisten Fällen kein ausreichender Querkraftwiderstand nachgewiesen werden. Dies kann vorrangig auf die geänderte Normensituation zurückgeführt werden. Um mehr über das Querkrafttragverhalten dieses Tragwerktyps zu erfahren, wurden vier großformatige Querkraftversuche durchgeführt. Mithilfe der Nahbereichsphotogrammetrie konnte auf Basis von detaillierten Messungen der Kinematik sowie des Verlaufs des kritischen Schubrisses gezeigt werden, dass die Schubtragfähigkeit der Querkraftbewehrung nicht ausreicht, um den Abtrag von Querkräften zu erklären. Darüber hinaus konnte auf Grundlage der markanten Rissöffnung festgestellt werden, dass die Rissverzahnung im Bruchzustand keinen Beitrag zum Querkraftwiderstand liefert. Eine Gegenüberstellung der Versuchsergebnisse mit diversen normativen Bemessungsansätzen bestätigte, dass das Fachwerkmodell mit variabler Druckstrebenneigung aus dem Grunddokument des Eurocode 2 bei weitem nicht imstande ist, die experimentelle Querkrafttragfähigkeit korrekt wiederzugeben. Obwohl mit der dritten Näherungsstufe nach Model Code 2010 deutlich präzisere Vorhersagen der Bruchlasten möglich sind, liefert auch dieser Ansatz noch immer sehr konservative Ergebnisse. Für die Nachrechnung solcher Brückenobjekte bedarf es somit verfeinerter Berechnungsansätze, welche auch dem Beton neben dem Traganteil der Querkraftbewehrung ein Schubtragvermögen zutrauen.