Zusammenfassung
Von 2007 bis 2016 untersuchte ein interdisziplinäres Projekt im Unterengadin (Graubünden, Schweiz) die alpine Weidewirtschaft. Im Fimbertal/Val Fenga wurden in über 2000 m Höhe spätbronzezeitliche bzw. hallstattzeitliche Baustrukturen entdeckt, die in Verbindung mit zeitgleichen Talsiedlungen um Ramosch als Nachweis für eigentliche Alpwirtschaft in prähistorischer Zeit interpretiert werden. Um diese idealtypische Kombination eines gestuften Tal-Alp-Systems und die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Viehwirtschaft besser zu verstehen, wurde eine GIS-gestützte Szenarioevaluation der prähistorischen Landschaftsnutzung ausgeführt. Da zur Größe und Struktur der Siedlungen keine ausreichenden Daten vorhanden sind, wurde eine theoretische Berechnung der maximalen Bevölkerungs- bzw. Vieh-/Herdenzahl angestrebt. Die Basis dazu bildet ein komplexes Subsistenzmodell, das aus der archäologischen, physiologischen und landwirtschaftlichen Fachliteratur ausgearbeitet wurde und den Flächenbedarf von Ackerbau und Viehzucht berücksichtigt. Anhand separat modellierter landwirtschaftlicher Nutzungsflächen im Einzugsgebiet (site catchment) der jeweiligen Siedlung lässt sich so die maximale Tragkraft (carrying capacity) bzw. Bevölkerungszahl ermitteln. Die alpine Topografie wird dabei als landwirtschaftlich stark limitierender Faktor betrachtet, sodass eine wachsende Siedlung bzw. Bevölkerung dazu gezwungen wäre, das Vieh im Sommer auf weiter entfernte Hochweiden auszulagern. Aus den Modellen kann allerdings kein ökonomischer oder ökologischer Druck als primärer Grund für die Ausformung der Alpwirtschaft belegt werden. Es wäre in den Talsiedlungen möglich, Ackerbau und Viehwirtschaft für bis zu 200 Personen ganzjährig in unmittelbarer Siedlungsnähe zu bewerkstelligen. Die saisonale vertikale Mobilität muss daher aus anderen Gründen eingeführt worden sein, möglicherweise für die strategische Mehrproduktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse für den inner- und transalpinen Gütertausch.