Berliner Journal für Soziologie
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Published By Springer-Verlag

1862-2593, 0863-1808

Author(s):  
Thomas Hoebel

ZusammenfassungIn ihrem Aufsatz „Struktur? Physis? Situation? Zur Erklärung von Gewalt“ werben Thomas Kron und Lena M. Verneuer (2020) dafür, Gewalt mithilfe des Modells der soziologischen Erklärung zu untersuchen. Die Replik dient dazu zu zeigen, dass die Art und Weise, wie die beiden das Modell fruchtbar zu machen versuchen, die soziologische Gewaltforschung nicht weiterbringt. Das liegt im Wesentlichen an drei Problemen des Ansatzes: (1) Kron und Verneuer meinen, die methodischen Regeln des Modells der soziologischen Erklärung leisteten gleichsam die Begriffsexplikation, was als Gewalt gelten soll – und greifen damit an den methodologischen Anforderungen des Modells selbst vorbei. (2) Der Problemzuschnitt basiert auf einer selektiven Lektüre des Forschungsstands. Er verliert sofort an Plausibilität, wenn wir jüngere Studien mit in die Betrachtung einbeziehen. (3) Ihr besonderes Augenmerk liegt darauf, die mikrosoziologische Erklärung von Gewalt, die Randall Collins formuliert hat, in das Modell der soziologischen Erklärung zu transponieren. Sie klären jedoch nicht die kausalitätstheoretischen Voraussetzungen, die für eine solche „Übersetzung“ nötig sind. Die Frage, worin die Fruchtbarkeit des Modells der soziologischen Erklärung für die Gewaltforschung liegen könnte, bleibt damit letztlich unbeantwortet.


Author(s):  
Klaus-Peter Buss ◽  
Herbert Oberbeck ◽  
Knut Tullius

ZusammenfassungDer gesellschaftliche, politische und wissenschaftliche Diskurs um die Digitalisierung wird geprägt durch das irreleitende Bild eines disruptiven Technologieschubs, der in der Wirtschaft technologische Entwicklungen ermöglicht, die noch bis vor kurzem undenkbar waren und große Teile der heute bestehenden Arbeitsplätze und ganze Berufsfelder bedroht. Auch sozialwissenschaftliche Deutungsangebote geben nur unbefriedigende Antworten auf die gegenwärtige Konstellation, weil sie oftmals recht pauschale und deterministische Aussagen zum Wandel betrieblicher Strategien und Geschäftsmodelle treffen. Der Beitrag argumentiert, dass die gegenwärtig stattfindenden Veränderungen überwiegend nicht als technologiegetriebener Umbruch, sondern als branchenspezifische Entwicklungen einer systemischen Rationalisierung zu interpretieren sind. Der eigentliche Treiber der Digitalisierung und Einsatzzweck digitaler Technologien ist, so lautet die These auf Grundlage eigener empirischer Befunde, der Versuch der Optimierung und Steuerung von Marktbeziehungen und Wettbewerbsprozessen, die primär von den Spezifika der jeweiligen Branchen – hier: Handel, Logistik, Finanz- und Versicherungsdienstleistungen – bestimmt werden.


Author(s):  
Silke van Dyk ◽  
Laura Boemke ◽  
Tine Haubner

ZusammenfassungDer Beitrag untersucht am Beispiel des Engagements für Geflüchtete Stärken, Herausforderungen und Probleme freiwilligen Engagements und arbeitet zugleich die Spezifika dieser Form der Hilfe und Solidarität heraus. Die Analyse rekurriert auf eine qualitative Erhebung, die problemzentrierte Interviews mit Engagierten und Leitfadeninterviews mit Expert*innen sowie eine Dokumentenanalyse von politischen, medialen, zivilgesellschaftlichen und wissenschaftlichen Quellen für den Zeitraum von 2011 bis 2018 umfasst. Im Zentrum der Analyse stehen (1) der mediale und gesellschaftliche Außenblick auf die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe, (2) multiple Grenzziehungen, -überschreitungen und -erfahrungen im Engagement sowie (3) die Bewältigung von Problemen und Herausforderungen seitens der Engagierten – durch den Ausstieg aus dem Engagement, die Kritik an Engagementbedingungen, die Verheimlichung des Engagements oder die Politisierung der Rolle freiwilliger Hilfe im Strukturwandel des Wohlfahrtsstaats.


Author(s):  
Sarah Nies
Keyword(s):  

ZusammenfassungMit der digitalen Transformation von Arbeit wird das Verhältnis von Fremd- und Selbstbestimmung im Arbeitsprozess neu verhandelt. Insbesondere im Industriesektor sind Autonomie und Handlungsspielräume von Produktionsbeschäftigten durch den Einsatz digitaler Technologien neuen Rahmenbedingungen unterworfen. Während bislang häufig von den Kontrollpotenzialen neuer Technologien auf Einschränkungen von Beschäftigtenautonomie im Industriebetrieb geschlossen wurde, schlägt der Beitrag eine konzeptionelle Analyseperspektive vor, die die betrieblichen Strategien, die der Einführung digitaler Technologien vorausgehen, ins Zentrum rückt. Auf der Basis qualitativer Empirie aus drei Industriebetrieben wird eine Typologie vier betrieblicher Strategien der Leistungssteuerung unterschieden. An zwei empirischen Anwendungsfällen von Systemen der Echtzeit-Transparenz wird im Anschluss gezeigt, wie ein vermeintlich prototypisches Kontrollszenario zu reinterpretieren ist: Hinter dem Einsatz digitaler Systeme stehen vor allem prozessorientierte Rationalisierungsstrategien, die sich in den untersuchten Fällen mit einer Ausweitung der Anforderungen an Selbstorganisation und Eigenverantwortung koppeln. Für die Beschäftigten hat dies aber nicht weniger, sondern andere Formen der Belastung und Fremdbeherrschung zur Folge als in dem häufig skizzierten Kontrollregime eines digitalen Taylorismus.


Author(s):  
Thomas Lux ◽  
Steffen Mau ◽  
Aljoscha Jacobi

ZusammenfassungDer Beitrag fragt vor dem Hintergrund neuer gesellschaftlicher Konfliktthemen nach der sozialstrukturellen Fundierung von Ungleichheitseinstellungen. Es werden vier Ungleichheitsachsen in den Blick genommen: (1) Oben-Unten-Ungleichheiten, bei denen die ökonomische Ressourcenverteilung im Mittelpunkt steht, (2) Innen-Außen-Ungleichheiten, die sich auf territorialen Zugang, Migration und Mitgliedschaft beziehen, (3) Wir-Sie-Ungleichheiten, die die gesellschaftliche Anerkennung von Diversität umfassen, und (4) Heute-Morgen-Ungleichheiten, die sich auf Fragen der Generationengerechtigkeit und ökologischen Nachhaltigkeit richten. In jedem Bereich werden die Ausprägungen und Strukturierungen der sozialen Orientierungen aufgezeigt und in der Literatur gängige Erwartungen hierzu getestet. Zentral geht es um die Frage, ob die Einstellungsmuster in einer Weise mit sozialstrukturellen Differenzierungen einhergehen, dass man von Cleavages sprechen könnte. Auf der Basis des European Social Survey aus dem Jahr 2016 werden die Einstellungsstrukturen deskriptiv sowie faktoren- und regressionsanalytisch für eine ausgewählte Gruppe europäischer Länder (Schweden, Frankreich, Italien, Deutschland, Polen und Ungarn) untersucht. Der Kernbefund ist, dass sich, erstens, kein zweidimensionaler Einstellungsraum zeigt, bei dem die alten ökonomischen Ungleichheiten den neuen Ungleichheiten gegenüberstehen, und, zweitens, nur punktuell und nicht in allen untersuchten Ländern starke Cleavages zu finden sind. Diese zeigen sich am ehesten beim Migrationsthema.


Author(s):  
Hildegard Matthies
Keyword(s):  

ZusammenfassungIn diesem Beitrag werden Berufswechsel aus der Cooling-out-Perspektive rekonstruiert. Dabei wird das Cooling-out-Konzept in zweierlei Hinsicht erweitert. Erstens wird es mit Blick auf die an Goffman anschließende Diskussion nicht nur als eine von außen auf ein Subjekt gerichtete Selektionsstrategie aufgefasst, sondern auch als eine von innen kommende Strategie der Krisenintervention zur Verarbeitung von beruflichen Enttäuschungen. Zweitens wird ein berufliches Cooling out in Anlehnung an Bourdieu als Folge eines misslungenen Passungsverhältnisses von beruflichen Bewährungsbedingungen und individuellen Dispositionen konzeptualisiert, um die Entweder-oder-Struktur von Selbst- versus Fremdselektion zu überwinden und auch das „Dazwischen“ von Feld und Subjekt in den Blick zu nehmen. Am Beispiel von empirischen Fallstudien unter Berufswechslern wird gezeigt, dass Entscheidungen für einen Berufswechsel keiner der beiden Seiten allein zugeschlagen werden können, sondern lediglich den Endpunkt einer kontinuierlichen biographischen Erfahrungsaufschichtung darstellen, an der individuelle Dispositionen ebenso wie Feldstrukturen ihren Anteil haben.


Author(s):  
Oliver Berli
Keyword(s):  

ZusammenfassungMit seinem 1952 veröffentlichten Aufsatz „On cooling the mark out“ formulierte Erving Goffman einen einflussreichen Vorschlag, um die Enttäuschung von Erwartungen sowie Strategien der Vermeidung und Bearbeitung typischerweise individuell zugerechneter Misserfolge zu konzeptualisieren. In kompetitiven Feldern, die zugleich Universalismus wie Leistungsgerechtigkeit versprechen und systematisch an der Einlösung dieser modernen Versprechungen scheitern, ist die Bearbeitung von enttäuschten Erwartungen eine Daueraufgabe. Ein Musterbeispiel für diese Kombination von feldspezifischem Glauben an die Relevanz von Leistung und hoher Dichte an Erwartungsenttäuschungen stellen Karrieren im Wissenschaftsfeld dar. Der Artikel nimmt am Beispiel von Wissenschaftskarrieren eine Erweiterung des Cooling-out-Konzepts um Prozesse des Warming up vor. Während Cooling out sich auf die Abkühlung von Erfolgserwartungen bezieht, zielt Warming up auf den Prozess des Aufbaus von Erfolgserwartungen. Auf der Grundlage von 20 erwerbsbiografischen Interviews mit Wissenschaftler*innen aus den Disziplinen BWL, Geschichte und Physik geht der Beitrag dem Management von Erfolgserwartungen und der Anpassung von Möglichkeitshorizonten nach und arbeitet zentrale Strategien heraus, die dabei zum Einsatz kommen.


Author(s):  
Judith Eckert
Keyword(s):  

ZusammenfassungIn seinem Aufsatz „On cooling the mark out. Some aspects of adaptation to failure“ erwähnt Erving Goffman das Scheitern von Paarbeziehungen als Paradebeispiel für Cooling-out-Prozesse in informellen sozialen Settings. Daran anknüpfend fragt der vorliegende Beitrag zum einen, inwiefern das Cooling-out-Konzept für die gegenwärtige familiensoziologische Theoriebildung fruchtbar gemacht werden kann. Indem es, so wird argumentiert, ein integratives und genuin soziologisches Instrumentarium zum Verständnis materieller und vor allem symbolischer Trennungsfolgen, die damit einhergehenden interpretativen Krisen sowie deren Bewältigung bietet, hat Goffmans Konzept gegenüber den bislang dominierenden psychologischen Konzeptualisierungen deutliche Vorzüge. Zum anderen wird danach gefragt, inwiefern die Analyse des Umgangs mit dem Scheitern von Paarbeziehungen zur Weiterentwicklung des Cooling-out-Konzepts beitragen kann. Auf der Grundlage qualitativer Interviews mit Getrennten wird gezeigt, dass es milieuspezifische Präferenzen bezüglich der „abkühlenden“ Deutungsrahmen gibt, auf die die Akteure bei der Situations- und Selbstredefinition zurückgreifen. Während im individualisierten Milieu die (Re‑)Konstruktion „verborgener Wahrheiten“ in vertrauensvollen Gesprächen und die reflexive Arbeit am Selbst im Vordergrund steht, ist im traditionalen Milieu die Mobilisierung öffentlicher Fürsprache angesichts infrage stehender Geschlechterrollenperformanz von zentraler Bedeutung. Erweitert um Goffmans Rahmenanalyse und milieusoziologisch angewandt, lassen sich somit mithilfe des Cooling-out-Konzepts stark divergierende Deutungsmuster und Praxen in der Verarbeitung von Trennungen beschreiben.


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