ZusammenfassungPsychische Störungen treten nicht isoliert auf, sondern in Kombination. Die am Paradigma der randomisierten kontrollierten Studie orientierte Psychotherapieforschung hat dieses Problem weitgehend ausgeblendet. In der vorliegenden Untersuchung wird der Versuch unternommen, kombinierte (komplexe) psychische, nicht psychotische Störungen empirisch zu identifizieren und sie anhand erhobener Daten näher zu beschreiben. Zu diesem Zweck wird eine große unausgelesene Stichprobe stationär behandelter Patienten in der Klinik Tiefenbrunn bei Göttingen, für deren Behandlung geschützte Bedingungen nicht erforderlich sind, untersucht. Anhand der ICD-10-Diagnosen wurde geprüft, welche psychischen Störungen im klinischen Alltag zusammen auftreten. Es wurden die zehn häufigsten “komplexen Störungen” identifiziert, die 75% der untersuchten Patientenpopulation abdecken. Für diese zehn komplexen Störungen wurden die Häufigkeit von chronischer Suizidalität, Suizidversuchen, stationären psychiatrischen Vorbehandlungen und fehlendem Berufsabschluss sowie die Aufnahmewerte im GSI der SCL-90-R bestimmt. Ergänzend wurden Prä-post-Veränderungen für die Zielprobleme (Goal Attainment Scaling, GAS) und die Symptomatik (GSI der SCL-90-R) berechnet. Es zeigen sich hinsichtlich der untersuchten Größen bemerkenswerte Unterschiede zwischen den identifizierten komplexen Störungen. Komplexe Störungen stellen besondere Anforderungen sowohl an die Behandlung als auch an ihre Erforschung. Die vorgestellte Studie liefert dazu einen ersten Beitrag. Weitere Studien sind erforderlich, um die Ergebnisse zu bestätigen.