Smarter Medicine in der ambulanten Allgemeinen Inneren Medizin

2021 ◽  
Vol 78 (7) ◽  
pp. 395-401
Author(s):  
Stefan Neuner-Jehle

Zusammenfassung. Über- und Fehlversorgung, mit der entsprechenden Gefährdung von Patienten und Verschwendung von Ressourcen im Gesundheitswesen, führte vor knapp zehn Jahren zur internationalen «Choosing Wisely» Kampagne (CWC). In der Schweiz startete diese Bewegung 2014 / 15 unter dem Namen «Smarter Medicine» mit einer ersten Top-5-Liste für die ambulante Allgemeine Innere Medizin (AIM), auf welche Interventionen besser zu verzichten sei. Die Wirksamkeit der internationalen CWC wurde schon früh in Frage gestellt und ob die «Smarter Medicine» Top-5-Liste für die ambulante AIM Über- und Fehlversorgung wirksam reduziert, wissen wir nicht – es gibt kaum Daten dazu. Voraussetzungen dafür, dass Über- und Fehlversorgung durch CWC wirksam verbessert werden kann, sind die wissenschaftliche Evidenz zu den Verzichtempfehlungen, eine glaubwürdige Herausgeberschaft, verlässliche Daten zur Evaluation und vor allem das Engagement von Öffentlichkeit, Patienten, Fachgesellschaften und Gesundheitspolitikern. Ein weiterer Schlüsselfaktor für die spätere erfolgreiche Umsetzung ist der frühe Einbezug der Anwender bei der Entwicklung von Empfehlungen. Mit diesem Fokus haben wir kürzlich zusammen mit 538 praktizierenden Hausärztinnen und Hausärzten neue Vorschläge von Interventionen entwickelt, auf die besser zu verzichten sei. Diese Vorschläge bilden die Basis für die nächste Top 5 Liste für die ambulante AIM.

2016 ◽  
Vol 36 (06) ◽  
pp. 402-406 ◽  
Author(s):  
M. Lakomek ◽  
Ch. Specker ◽  
H.-J. Lakomek

ZusammenfassungIn Anlehnung an die amerikanische “Choosing wisely”-Initiative des American Board of International Medicine (ABIM-Foundation) aus dem Jahr 2012 hat die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) mit zwölf weiteren internistischen Schwerpunkt- bzw. assoziierten Fachgesellschaften und der AWMF im Jahr 2015 fachgebietsbezogene Gesundheitsbereiche mit einer Fehlversorgung identifiziert. Auch die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie hat hier jeweils fünf fachbezogene Aspekte der Unter- und Überversorgung beschrieben. Dies war Anlass für die Autoren, beispielhaft zu jeweils einer Positiv- (Unterversorgung) und einer Negativ-Empfehlung (Überversorgung) Stellung zu nehmen, um die Wichtigkeit der “Klug entscheiden”-Initiative für die akutstationäre Rheumatologie aufzuzeigen. Am Beispiel der Positiv-Empfehlung (+) “Das kardiovaskuläre Risikoprofil von Patienten mit entzündlich rheumatischen Erkrankungen soll bestimmt und ggfs. reduziert werden” wird für die rheumatoide Arthritis die Bedeutung der Beachtung dieser Komorbidität aufgezeigt. Zur Unterstützung einer hohen Behandlungsqualität ist die Diagnose einer Komorbidität wie die des metabolischen Syndroms und des Typ-2-Diabetes nicht nur für die Bewertung des kardiovaskulären Risikos von Menschen mit rheumatischen Erkrankungen äußerst wichtig, sondern es kann z. B. durch Veränderung des Lebensstils und die Auswahl bestimmter Immunsuppressiva auf die sich durch die Komorbidität ergebende Prognose, z. B. bei der rheumatoiden Arthritis, positiv Einfluss genommen werden. Am Beispiel der Negativ-Empfehlung (−) “Eine längerfristige Glukokortikoidtherapie mit einer Dosis von mehr als 5 mg/die Prednisonäquivalent soll nicht durchgeführt werden” – wird die Richtigkeit der vorgeschlagenen Zielsetzung mit dem ergänzenden Hinweis aufgezeigt, bei Absenkung einer längerfristigen Glukokortikoidtherapie auf das mögliche Vorliegen einer sekundären Nebennierenrindeninsuffizienz zu achten. Die Initiative “Klug entscheiden” auch in der Rheumatologie passt gut in den Kontext der aktuellen gesundheitspolitischen Aktivitäten, über die sektorale Patientenversorgung in Deutschland eine hohe Behandlungsqualität abzusichern.


2017 ◽  
Vol 74 (1) ◽  
pp. 786-790 ◽  
Author(s):  
Jean-Michel Gaspoz

Zusammenfassung. Zur Unterstützung von Obamacare schlug der amerikanische Ethiker Howard Brody vor, dass für jede klinische Fachdisziplin eine Liste mit fünf Untersuchungen oder Behandlungen erstellt werden solle, die für die Mehrheit der Patienten offensichtlich keinen Nutzen haben. So entstand das Konzept der „Top-5-Listen“, das in den USA alsbald vom American College of Physicians unter der Bezeichnung „Choosing Wisely“ übernommen wurde. 2012 ging die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) in ihrem Positionspapier „Nachhaltige Medizin“ auf diese Thematik ein, und 2014 beschloss die Schweizerische Gesellschaft für Innere Medizin, in Anlehnung an „Choosing Wisely“, die Initiative „Smarter Medicine“ zu lancieren. Im selben Jahr erstellte sie eine „Top-5-Liste“ für den ambulanten Bereich und war damit die erste medizinische Fachgesellschaft in der Schweiz, die eine solche Liste veröffentlichte. Die neue medizinische Fachgesellschaft (Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin – SGAIM) entstand am 15.12.2015 aus der Fusion der Gesellschaften für Innere Medizin und für Allgemeinmedizin und setzte diese Pionierarbeit fort, indem sie im Mai 2016 eine „Top-5-Liste“ für den stationären Bereich veröffentlichte. Die beiden Kampagnen fanden breite Unterstützung bei der Fédération Suisse des Patients, der SAMW und der Presse. Seither wurden in der Schweiz keine weiteren „Top-5-Listen“ veröffentlicht, weshalb die SAMW und die SGAIM nun beschlossen haben, ihre Kräfte zu bündeln und die Bewegung auf interdisziplinärer Ebene in Schwung zu bringen. Aktionen wie „Choosing Wisely“ oder „Smarter Medicine“ zeigen langfristig Wirkung. Die Ärzte müssen ihre Praktiken überdenken und die Politiker, oder die Versicherer, einsehen, dass sie nicht nur an die Mediziner Erwartungen stellen können. In dieser Hinsicht ist die Kampagne NICE in Grossbritannien ein Paradebeispiel dafür, wie zu restriktive Kriterien oder zu grosser Druck ein solches Programm zum Scheitern bringen. Nur wenn alle betroffenen Akteure zusammenspannen (Patienten, Ärzte, Versicherer, Politiker, Medien), können Untersuchungen und Behandlungen, die dem Patienten keinen Mehrwert bringen und mit mehr Risiken als Nutzen verbunden sind, sowie unnötige Kosten eliminiert werden.


2021 ◽  
Vol 78 (7) ◽  
pp. 369-379
Author(s):  
Christine Baumgartner ◽  
Drahomir Aujesky

Zusammenfassung. Als Reaktion auf die zunehmende Evidenz für Überdiagnostik und Übertherapie wurde in der Schweiz analog zu «Choosing Wisely» 2014 die Bewegung «Smarter Medicine» lanciert. Für die stationäre Innere Medizin wurde von «Smarter Medicine» eine Top-5-Liste diagnostischer Tests oder Therapien mit nachteiligem Nutzen-Risikoverhältnis identifiziert. Dazu gehören 1. der Verzicht auf repetitive Blut- oder Röntgenuntersuchungen ohne spezifische Fragestellung, 2. das Vermeiden von Blasenkathetern bei Inkontinenz, falls dies lediglich dem Komfort oder dem Urinmonitoring bei nicht-kritisch Kranken dient, 3. das Beschränken auf die minimal notwendige Transfusionsmenge, 4. die Förderung der Mobilisation bei älteren Patienten sowie 5. der Verzicht auf Benzodiazepine und andere Sedativa zur Therapie von Insomnie und Agitation bei älteren Patienten. Der folgende Artikel diskutiert die Rationale für diese Empfehlungen und gibt eine Übersicht über die entsprechenden Interventionen, welche in der Schweiz und anderswo in der Zwischenzeit implementiert wurden.


2011 ◽  
Vol 068 (01) ◽  
pp. 0058-0058
Author(s):  
Urs Strebel
Keyword(s):  

Praxis ◽  
2017 ◽  
Vol 106 (10) ◽  
pp. 513-518
Author(s):  
Telemachos Hatziisaak ◽  
Urs Keller
Keyword(s):  

Zusammenfassung. Den Mitgliedern der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) werden 30 Stunden Selbststudium pro Jahr vorgeschrieben. Wie wird dieses Selbststudium von Hausärzten praktiziert? In unserer Umfrage zeigte sich, dass vornehmlich werbefreie oder werbearme, qualitativ hochwertige und vertrauenswürdige schweizerische medizinische Zeitschriften gelesen werden. Lehrbücher, medizinische Webseiten und Online-Fortbildungen spielen eine untergeordnete Rolle.


2020 ◽  
Vol 82 (12) ◽  
pp. 955-960
Author(s):  
Ingo Neupert ◽  
Claudia Pieper

Zusammenfassung Ziel der Studie Trotz der seit 2007 grundsätzlich geltenden Versicherungspflicht leben in Deutschland Menschen ohne ausreichenden Krankenversicherungsschutz. Daten zur Prävalenz oder zur Beschreibung dieser Bevölkerungsgruppe gibt es kaum, vor allem für den stationären Sektor. Die vorliegende Studie beschreibt deren Prävalenz und soziodemographische Verteilung am Beispiel des Universitätsklinikums Essen über einen Zeitraum von fünf Jahren. Darüber hinaus berichten wir Ergebnisse der Kostenträgerermittlung und deren monetäre Auswirkungen für den Leistungserbringer. Methodik Eingeschlossen wurden Patienten mit fehlendem oder unklarem Versicherungsstatus der Jahre 2014–2018. Für eine differenzierte Auswertung wurden vier Statusgruppen gebildet Patienten mit Leistungsanspruch in Deutschland, EU-Bürger, Patienten aus Drittstaaten und Patienten ohne Aufenthaltsstatus. Ergebnisse Die Stichprobe umfasst 918 Patienten ohne Krankenversicherungsschutz (mittleres Alter 31,3±20,6 Jahre, 52,1% Männer). Für den Fünfjahreszeitraum wurde in 74% der Fälle ein Kostenträger ermittelt und dadurch eine Kostenerstattung in Höhe von insgesamt 7,5 Million Euro erreicht. Die größte Inanspruchnahme zeigt sich in den Fachabteilungen Frauenheilkunde und Geburtshilfe mit 20%, der Kinderheilkunde mit 17%, der Orthopädie und Unfallchirurgie mit 14% und der Innere Medizin mit 13%. Schlussfolgerung Die Studie belegt, dass Menschen ohne Krankenversicherungsschutz im medizinischen Versorgungssystem nach wie vor existieren. Für den stationären Sektor zeigen die Ergebnisse, dass eine Kostenträgerermittlung und Kostenerstattung möglich sind und sich die Kosten beziffern lassen. Um insgesamt zielgruppenspezifischere Maßnahmen für die Praxis entwickeln zu können, bedarf es intensivere Forschungsansätze zu den Ursachen und Einflussfaktoren. Die Verfügbarkeit flächendeckender Informationen würde die Thematik der fehlenden Vergütung für diese Patientengruppe politisch diskutierbar machen.


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