Die Stärke schwacher Verfahren Zur verfahrensförmigen Entdramatisierung von Perspektivendifferenzen im Kontext der Organspende

2019 ◽  
Vol 48 (3) ◽  
pp. 190-208
Author(s):  
Armin Nassehi ◽  
Irmhild Saake ◽  
Niklas Barth

ZusammenfassungWenn die Soziologie auf die Praxis der postmortalen Organspende schaut, dann stößt sie auf die Dominanz medizinischer Gründe, die sie über das Verständigungsideal des gelungenen und guten Diskurses zu kontrollieren versucht. Mit der Sichtbarkeit anderer guter Gründe für oder gegen die Organallokation gestaltet sich die Organspende aber grundlegend als ein Problem von Perspektivendifferenzen. Unsere Analysen von Wortprotokollen des Deutschen Ethikrats (ER) folgen einer verfahrenssoziologischen Interpretation. Während das Verständigungsideal des guten Diskurses vor allem darauf zielt, über eine partizipative Debatte die Geltung medizinischer Gründe zu schwächen, gelingt es der Praxis schwacher Verfahren (Scheffer) hingegen, (medizinische) Entscheidungen über die Sichtbarkeit von Perspektivendifferenzen mit einem Reflexionspotential für andere gute Gründe auszustatten.

Praxis ◽  
2004 ◽  
Vol 93 (22) ◽  
pp. 949-955 ◽  
Author(s):  
Steurer

Die Medizin ist Wissenschaft und Praxis. Ein zentrales Charakteristikum jeder Wissenschaft ist die Bildung von Theorien und die kritische Überprüfung des Wahrheitsgehaltes dieser Theorien mit wissenschaftlich anerkannten Methoden. Die Medizin als Wissenschaft, das Wissen über den gesunden und kranken Menschen, basiert auf den Erkenntnissen der Natur- und Geistes- und Sozialwissenschaften. Medizinische Praxis ist keine Wissenschaft, sondern die Integration wissenschaftlicher Erkenntnisse in medizinische Entscheidungen und damit auch in die Behandlung kranker Menschen und die Verhinderung von Krankheiten. Ein zentrales Problem der heutigen Medizin ist das Fehlen einer «Theorie der Medizin», einer theoretischen Grundlage, die die Relation zwischen Wissenschaft und Praxis definiert.


PPH ◽  
2019 ◽  
Vol 25 (05) ◽  
pp. 253-256
Author(s):  
Astrid Gieselmann ◽  
Jakov Gather ◽  
Jochen Vollmann

ZusammenfassungMedizinische Entscheidungen in Situationen zu treffen, in denen Patienten nicht einwilligungsfähig sind, zählt zu den besonders schwierigen und belastenden Aufgaben von Ärzten und Pflegenden. In der Psychiatrie sind Professionelle jedoch besonders häufig in dieser Situation, da psychische Störungen vorübergehend oder dauerhaft mit Einwilligungsunfähigkeit einhergehen können. Wie dennoch Entscheidungen über die Behandlung getroffen werden können, beschreibt unser Autoren-Team.


2008 ◽  
Vol 65 (7) ◽  
pp. 413-416
Author(s):  
Georg Bosshard

Medizinische Entscheidungen am Lebensende mit der Konsequenz einer möglichen Beschleunigung des Todeseintritts des Patienten können eingeteilt werden wie folgt: Behandlungsverzicht und -abbruch (passive Sterbehilfe), Opiate und Sedativa am Lebensende (indirekte Sterbehilfe, inklusive die sogenannte terminale Sedierung), Beihilfe zum Suizid, sowie die in jedem Fall verbotene aktive Sterbehilfe. Bei der passiven und indirekten Sterbehilfe ist der Wille des urteilsfähigen respektive der mutmaßliche Wille des nicht urteilsfähigen Patienten zentral. Beihilfe zum Suizid ist gemäß Schweizer Strafrecht dann nicht illegal, wenn auf Seiten des Sterbehelfers keine eigennützigen Motive vorliegen und die sterbewillige Person urteilsfähig ist. Für sich an einer Beihilfe beteiligende Ärzte gelten zudem spezifisch ärztliche Sorgfaltspflichten. Diese sind kürzlich durch einen Bundesgerichtsentscheid klarer definiert worden.


2002 ◽  
Vol 51 (12) ◽  
pp. 845-848
Author(s):  
Manfred Doepp ◽  
Gabriele Edelmann

Author(s):  
André Kidszun

ZusammenfassungFrühgeborene im Grenzbereich der Lebensfähigkeit befinden sich in einer prognostischen Grauzone. Das bedeutet, dass deren Prognose zwar schlecht, aber nicht hoffnungslos ist, woraus folgt, dass nach Geburt lebenserhaltende Behandlungen nicht obligatorisch sind. Die Entscheidung für oder gegen lebenserhaltende Maßnahmen ist wertbeladen und für alle Beteiligten enorm herausfordernd. Sie sollte eine zwischen Eltern und Ärzt*innen geteilte Entscheidung sein, wobei sie unbedingt mit den Präferenzen der Eltern abgestimmt sein sollte. Bei der pränatalen Beratung der Eltern legen die behandelnden Ärzt*innen üblicherweise numerische Schätzungen der Prognose vor und nehmen in der Regel an, dass die Eltern ihre Behandlungspräferenzen davon ableiten. Inwieweit probabilistische Daten die Entscheidungen der Eltern in prognostischen Grauzonen tatsächlich beeinflussen, ist noch unzureichend untersucht. In der hier vorliegenden Arbeit wird eine Studie reflektiert, in welcher die Hypothese geprüft wurde, dass numerisch bessere oder schlechtere kindliche Prognosen die Präferenzen werdender Mütter für lebenserhaltende Maßnahmen nicht beeinflussen. In dieser Studie zeigte sich, dass die elterlichen Behandlungspräferenzen eher von individuellen Einstellungen und Werten als von Überlegungen zu numerischen Ergebnisschätzungen herzurühren scheinen. Unser Verständnis, welche Informationen werdende Eltern, die mit einer extremen Frühgeburt konfrontiert sind, wünschen und brauchen, ist noch immer unvollständig. Bedeutende medizinische Entscheidungen werden keineswegs nur rational und prognoseorientiert gefällt. In der vorliegenden Arbeit wird diskutiert, welchen Einfluss der Prozess der Entscheidungsfindung auf das Beratungsergebnis haben kann und welche Implikationen sich aus den bisher vorliegenden Studienergebnissen ergeben – klinisch-praktisch, ethisch und wissenschaftlich.


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