Zusammenfassung
In dem vorliegenden Beitrag untersucht die Autorin die Frage, ob und inwiefern psychoanalytische Therapie mit einer kultur- und religionssensiblen aber auch neutralen therapeutischen Haltung für Menschen mit einer depressiven und spirituellen Krise hilfreich sein kann. In die psychoanalytische und psychotherapeutische Praxis kommen zunehmend mehr Menschen unterschiedlicher Herkunft, die nicht nur ihren jeweiligen kulturellen Hintergrund, sondern auch verschiedene Religionen mitbringen. Darunter sind auch zunehmend mehr Muslime und Musliminnen mit ihrer eigenen kulturellen und religiösen Erfahrungswelt und Überzeugungen von Heilung und seelischem Wachstum, was eine Herausforderung für eine/n westlich sozialisierte Psychoanalytiker/-in darstellen kann. In diesem Beitrag wird postuliert, dass eine existenzielle Erfahrung (z. B. Trennung) bei einem religiösen Menschen nicht nur eine spirituelle Krise auslösen kann, sondern auch mit einer depressiven Krise einhergeht. Dies wird anhand einer psychoanalytischen Behandlung eines muslimischen Mannes in einer Kasuistik dargestellt. Eine Abweichung von einem kulturell bzw. religiös klar definierten Wertekanon löst Versagenserleben und damit Scham- und Schuldgefühle aus, die depressives Erleben verstärken und aufrechterhalten. Die Bearbeitung der Selbstwert- und Schuldkonflikte steht daher im Mittelpunkt der psychotherapeutischen Arbeit, wobei eine kultur- und religionssensible therapeutische Haltung unerlässlich ist.