Autismus-Spektrum-Symptome bei Kindern mit Geburtsblindheit
Zusammenfassung. Fragestellung: Kinder mit Beeinträchtigungen des Sehens (BS) zeigten in einigen Untersuchungen autismusähnliche Verhaltensweisen. Die Anwendung vorhandener diagnostischer Screening-Instrumente für Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) ist problematisch, da diese in der Regel ein intaktes Sehvermögen voraussetzen. Ziel dieser explorativen Studie war es, die prinzipielle Anwendbarkeit von drei ASS-Screening-Fragebögen bei Kindern mit Geburtsblindheit zu überprüfen. Methodik: 15 Kinder mit Geburtsblindheit, 15 Kinder mit ASS (ohne BS) und 20 Kontrollprobandinnen und –probanden wurden mittels des „Fragebogens zur Sozialen Kommunikation“ (FSK), der „Marburger Beurteilungsskala zum Asperger-Syndrom“ (MBAS) und der „Social Responsiveness Scale“ (SRS) untersucht. Ergebnisse: Items, die motorische oder mimisch-gestische Auffälligkeiten und geteilte Aufmerksamkeit erfassten, wurden bei Kindern mit Geburtsblindheit häufig als auffällig beschrieben. Insgesamt zeigten diese Kinder in den ASS-Screening-Instrumenten höhere Werte als Kontrollpersonen, aber meist niedrigere Werte als sehende Kinder mit ASS. Je nach Fragebogen erreichten zwischen 23 und 67 % der Stichprobe mit Geburtsblindheit den klinischen Cut-Off-Wert für ASS. In dieser Gruppe korrelierte der SRS-Gesamtwert negativ mit der kognitiven Empathie und der verbalen Intelligenz. Schlussfolgerungen: Mütter von Kindern mit BS beschreiben in ASS-Screening-Instrumenten vermehrt ASS-Symptome. Dies könnte auf einer ausgeprägten Symptomüberschneidung von ASS und Blindheit beruhen. ASS-Screeningverfahren sollten zukünftig an die spezifischen Besonderheiten von Personen mit beeinträchtigten visuellen Fähigkeiten angepasst und mit Gold-Standard-Methoden validiert werden.