Inkontinenz als Risikofaktor für Dekubitus hält kritischer Überprüfung nicht stand
Die Assoziation zwischen Urininkontinenz und Dekubitus wird auf verschiedene Ursachen zurückgeführt. Am häufigsten wird die Nässe durch den Urin und in der Folge die Mazeration der Haut genannt. Denkbar ist jedoch auch, dass die Urininkontinenz nur ein Indikator für andere Risikofaktoren oder ein Maß für Pflegebedürftigkeit ist, ohne kausalen Bezug zur Entstehung des Dekubitus. Problematisch bei diesen theoretischen Erwägungen ist die fehlende wissenschaftliche Evidenz, denn kontrollierte oder randomisierte Studien liegen kaum vor. Die vorliegende Arbeit versucht, mit den vorhanden Erklärungsmodellen und mit den Daten von 200 Patienten einer Fall-Kontroll-Studie dem Zusammenhang von Dekubitus und Inkontinenz kritisch nachzugehen. In der Studienpopulation waren 97,5 % der Patienten inkontinent. Unterschiedliche Kategorisierungen und Dichotomisierungen des Risikofaktors Urininkontinenz führen zu unterschiedlichen statistischen Ergebnissen. Aussagen zum Zusammenhang zwischen Urininkontinenz und Dekubitus müssen also methodenkritisch interpretiert werden. Die Abhängigkeit der Urininkontinenz von anderen Risikofaktoren (z.B. Pflegebedürftigkeit und Patienten-Compliance) legt nahe, dass der kausale Zusammenhang mit Dekubitus nicht auf den Einfluss der Nässe reduziert werden darf. Vielmehr ist die Urininkontinenz primär Ausdruck schwerer Pflegebedürftigkeit und bildet andere Risikofaktoren wie eine unzureichende Patienten-Compliance («Mitarbeit», nach Einschätzung der Pflegekräfte) und Immobilität ab. Die Katheterversorgung zur Vermeidung von Nässe erscheint im Licht der vorliegenden Ergebnisse als eine unwirksame Maßnahme der Dekubitusprophylaxe.