Pharmakotherapie von Abhängigkeits- und Entzugssyndromen

2009 ◽  
Vol 66 (6) ◽  
pp. 449-457 ◽  
Author(s):  
Marc Walter ◽  
Gerhard A. Wiesbeck

Störungen durch psychotrope Substanzen umfassen im engeren Sinn die akute Intoxikation, den schädlichen Gebrauch, die Abhängigkeit sowie die Entzugssyndrome. Im erweiterten Sinn können komorbide psychische Störungen sowie somatische Folgeschäden auftreten. In der Akutbehandlung erfolgen zunächst die Entgiftung und der Entzug psychotroper Substanzen, anschließend dienen die medikamentöse Rückfallprophylaxe oder eine Substitutionsbehandlung zur Stabilisierung bei bestehender Abhängigkeitserkrankung. Die Pharmakotherapie ist neben den psychosozialen Therapien ein entscheidender Grundpfeiler in der Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen und Entzugssyndrome. In dieser Übersicht werden evidenzbasierte medikamentöse Behandlungsstrategien der häufigsten substanzbezogenen Störungsbilder anhand aktueller Leitlinien beschrieben und diskutiert. Für die Alkoholabhängigkeit werden langwirksame Benzodiazepine oder Clomethiazol im Entzug sowie Acamprosat und Naltrexon für die Rückfallprophylaxe empfohlen. Für die Cannabisabhängigkeit existieren bisher noch keine etablierten pharmakotherapeutischen Konzepte zur Rückfallsprophylaxe. Für die Kokainabhängigkeit besteht die grösste Evidenz im Entzug für antriebssteigernde trizyklische Antidepressiva. Auch für die Kokainabhängigkeit gibt es derzeit noch keine ausreichend gesicherte Evidenz für eine Rückfallprophylaxe. Stimmungsstabilisierer wie Topiramat und Tiagabin sowie Disulfiram stellen hier Behandlungsalternativen dar. Gesichert ist die Gabe von Methylphenidat für die Kokainabhängigkeit bei komorbider Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung. Für die Opioidabhängigkeit stellt die Substitutionsbehandlung mit Methadon oder Buprenorphin die Therapie der ersten Wahl dar. Für die Tabakabhängigkeit kann die Nikotinersatztherapie für den Entzug und die medikamentöse Behandlung mit Bupropion oder Vareniclin als Rückfallprophylaxe empfohlen werden.

2020 ◽  
Vol 29 (4) ◽  
pp. 178-192
Author(s):  
Margarete Bolten

Zusammenfassung. Verhaltensauffälligkeiten bzw. psychische Störungen können bereits bei sehr jungen Kindern auftreten und sind häufig mit erheblichem Leiden bzw. Beeinträchtigungen für das Kind aber auch seine Eltern verbunden. Deshalb ist eine frühzeitige Erkennung sinnvoll, um langfristige Folgen oder eine Chronifizierung zu vermeiden. Ziel dieses Überblickartikels ist eine Bestandsaufnahme über die aktuell für das Vorschulalter verfügbaren diagnostischen Instrumente. Dabei wird neben Fragebögen, Entwicklungs- und Leistungstest auch ein neuartiges klinisches Interview zur strukturierten Diagnostik im Vorschulalter (0 – 6 Jahre), das SIVA 0 – 6 vorgestellt. Diagnostiker sollten bei der psychopathologischen Beurteilung von Symptomen in der frühen Kindheit Normvarianten von Normabweichungen abgrenzen. Psychische Auffälligkeiten müssen dabei immer im interaktionellen Kontext des Kindes mit seinen Eltern oder anderen wichtigen Personen gesehen werden.


Die Hebamme ◽  
2019 ◽  
Vol 32 (03) ◽  
pp. 42-52
Author(s):  
Wolfgang Jordan

Psychische Störungen gehören zu den häufigsten Erkrankungen in der Peripartalzeit. Für eine Behandlung mit Psychopharmaka in Schwangerschaft und Stillzeit sind Nutzen und Risiken sorgfältig abzuwägen. Der Artikel vermittelt Hintergrundwissen zur medikamentösen Behandlung psychischer Erkrankungen rund um die Geburt.


2011 ◽  
Vol 68 (6) ◽  
pp. 321-326 ◽  
Author(s):  
Isabelle Suter-Widmer ◽  
Marius E. Kraenzlin ◽  
Christian Meier

Der primäre Hyperparathyroidismus ist eine häufige Zufallsdiagnose und verläuft meist asymptomatisch. Gehäuft wird ein primärer Hyperparathyroidismus im Rahmen einer Osteoporoseabklärung diagnostiziert, selten führen eine hyperkalzämische Krise, Myopathie, Nierensteine und Nephrokalzinose, oder eine Osteitis fibrosa zur Diagnose. Die häufigste Krankheitsursache ist ein benignes solitäres Adenom, seltener ist eine Nebenschilddrüsenhyperplasie. Eine Hyperkalzämie bei gleichzeitig inadäquat erhöhtem intaktem PTH ist charakteristisch für das Vorliegen eines primären Hyperparathyroidismus. Bei allen symptomatischen, sowie allen asymptomatischen Patienten mit einem Serumkalzium > 0.25mmol/L (1.0 mg/dl) über der oberen Normgrenze, einer Niereninsuffizienz (GFR < 60 ml/min) oder dem Vorliegen einer Osteoporose (T-score < - 2.5 oder bei atraumatischen Frakturen), sollte die Indikation zur Operation gestellt werden. Die Parathyreoidektomie gehört in die Hände eines erfahrenen Chirurgen. Als Alternative zur Operation bei z. B. inoperablen Patienten oder bei schwerer Hyperkalziämie zur Überbrückung bis zur Operation kann eine medikamentöse Behandlung mit Cinacalcet in Betracht gezogen werden. Bei asymptomatischen Patienten, die keiner Operation bedürfen, ist eine jährliche Kontrolle von Kalzium und Kreatinin im Serum und 2-jährlich eine Osteodensitometrie empfohlen.


Praxis ◽  
2019 ◽  
Vol 108 (2) ◽  
pp. 131-138
Author(s):  
Sebastian C. Holst ◽  
Esther Werth ◽  
Hans-Peter Landolt

Zusammenfassung. Schlaf ist ein komplexes Verhalten, das von verschiedenen Kerngebieten im Gehirn koordiniert wird. Diese neurochemischen Systeme modulieren die Wachheit und den Schlaf und können pharmakologisch beeinflusst werden. Die exzessive Tageschläfrigkeit (ETS) wird gewöhnlich mit dopaminergen Pharmaka behandelt, die in leichten Fällen von Koffein über (Ar)Modafinil zu Amphetamin-Derivaten reichen. Trizyklische Antidepressiva und Melatonin-basierte Medikamente werden auch verwendet, aber in geringerem Masse. Zu den Arzneimitteln zur Schlafförderung gehören GABA-erge Medikamente wie Benzodiazepine und Z-Hypnotika sowie Histamin-H1-Rezeptor-Antagonisten. Exogenes Melatonin oder eine pharmakologische Kombination aus Melatonin-Rezeptor-Agonismus und 5-HT2C-Rezeptor-Antagonismus werden auch in weniger schweren Fällen verwendet. Als zukünftige schlaffördernde Medikamente werden zurzeit selektive und duale Orexin(Hypocretin)-Rezeptor-Antagonisten (DORA), aber auch Medikamente, die an spezifische 5-HT-Rezeptoren binden, untersucht. Die pharmakologische Behandlung ist jedoch nicht immer die primäre Behandlungsmethode. Insomnie wird in erster Linie mit einer kognitiven Verhaltenstherapie behandelt, zur Behandlung von Schlafapnoe wird eine Überdruckbeatmung eingesetzt.


Praxis ◽  
2018 ◽  
Vol 107 (13) ◽  
pp. 717-725
Author(s):  
Stefan Fischli

Zusammenfassung. Die Nebennierenrindeninsuffizienz (NNR-IS) kann im klinischen Alltag aufgrund der häufig unspezifischen Symptome verpasst werden und ist bei fehlender Behandlung eine potenziell lebensbedrohende Erkrankung. Die Labordiagnostik spielt eine zentrale Rolle, wobei häufig ein ACTH-Stimulationstest zur Sicherung der Diagnose notwendig ist. Die NNR-IS kann je nach Ätiologie in eine primäre (adrenale) oder eine zentrale (hypothalamisch bzw. hypophysäre) Form eingeteilt werden. Die häufigste Ursache einer NNR-IS überhaupt ist die medikamentöse Behandlung mit Glukokortikoiden, die zur zentralen NNR-IS führt. Die Ersatztherapie erfolgt mit Hydrocortison. Die Glukokortikoiddosis in der chronischen Ersatztherapie muss so hoch wie nötig, aber so tief wie möglich gewählt werden. In Akutsituationen muss jedoch eine zügige und genügend hohe Steigerung der Hydrocortisondosis erfolgen. Damit wird die Entwicklung einer Addison-Krise verhindert. Die Ersatztherapie mit Fludrocortison ist nur bei einer primären Nebennierenrindeninsuffizienz notwendig.


2015 ◽  
Author(s):  
Sybille Rockstroh

Psychopharmaka für Nicht-Pharmakologen Wer ein psychosoziales Fach studiert oder eine Ausbildung in Neuropsychologie oder Psychotherapie macht, braucht Grundkenntnisse über Psychopharmaka, um deren Wirkung und Nutzen sachkundig und kritisch einordnen zu können. Knapp und übersichtlich vermittelt dieses Werk das nötige Basiswissen dafür: Es führt in Terminologie und allgemeine Wirkmechanismen ein. Die einzelnen Präparateklassen der Psychopharmaka werden systematisch unter folgenden Rubriken analysiert: beteiligte Neurotransmitter, korrespondierende psychische Störungen, Klassifikation der Wirkstoffe, kritische Bewertung der Wirkung und alternative Therapien. Zahlreiche tabellarische Übersichten können als Lerntafeln, aber auch zum schnellen Nachschlagen genutzt werden.


Author(s):  
Vivienne Sommer ◽  
Stefan Holland-Cunz ◽  
Martina Frech

ZusammenfassungDas nächtliche Einnässen im Kindesalter ist ein häufiger Konsultationsgrund im kinderurologischen Alltag. Nach heutiger Ansicht sind psychische Probleme („die Seele weint“) meistens nicht ursächlich. Die Ätiologie ist multifaktoriell inklusive einer genetischen Prädisposition und bisher nicht im Detail geklärt. Aber für viele Familien ist dies eine belastende Situation, und sie kann das Selbstwertgefühl und psychische Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen deutlich beeinträchtigen.Mit einer gründlichen kinderurologischen Anamnese, einem Trink- und Miktionsprotoll und körperlicher Untersuchung lassen sich kindliche Miktionsstörungen meistens gut differenzieren. Je nach Befund sind im Verlauf weitere Untersuchungen indiziert, insbesondere wenn eine organische Ursache vermutet wird. Wichtig hierbei ist, zu unterscheiden, ob es sich um eine isolierte monosymptomatische Enuresis nocturna handelt oder die Enuresis nocturna Ausdruck einer weiteren kindlichen Miktionsstörung ist (nichtmonosymptomatische Enuresis nocturna).Die Therapie richtet sich nach den möglichen Ursachen und dem Wunsch der Patienten und deren Familien. Eine monosymptomatische Enuresis nocturna hat durchaus einen sehr hohen Grad an Selbstheilungstendenz ohne Therapie oder nur mittels einfacher Verhaltensmassnahmen. Bei Therapiewunsch stehen eine medikamentöse Behandlung und/oder eine Konditionierung durch einen Weckapparat zur Verfügung.Sofern es sich um eine nichtmonosymptomatische Enuresis nocturna handelt, sind o. g. Therapien meistens frustran. Der therapeutische Ansatz hierbei ist je nach Ursache individuell und reicht von einfachen Verhaltensmassnahmen (z. B. bei Reifungsverzögerung der Blasenentwicklung) bis hin zu operativen Verfahren (z. B. bei posterioren Urethralklappen beim Knaben).


2001 ◽  
Vol 12 (4) ◽  
pp. 336-349 ◽  
Author(s):  
U. Müller

Zusammenfassung: Emotionale Störungen sind häufige und klinisch bedeutsame Folgeerscheinungen nach erworbener Hirnschädigung. In den letzten Jahren sind zahlreiche Original- und Übersichtsarbeiten zu epidemiologischen, pathophysiologischen und therapeutischen Aspekten neuro-psychiatrischer Störungen erschienen. Ausgehend von diagnostischen Überlegungen gibt die vorliegende Arbeit eine aktuelle Übersicht zur Pharmakotherapie von Depressionen, emotionaler Instabilität (pathologisches Weinen), organischer Manie (bipolarer Störung), Angststörungen und Antriebsstörungen (Apathie). Patienten mit Schlaganfall und traumatischer Hirnschädigung stehen im Mittelpunkt, so wie in der Forschungs- und Lehrbuch-Literatur. Psychische Störungen bei neurodegenerativen und systemischen Erkrankungen des Gehirns werden nur am Rande erwähnt. Ausführlich werden differentielle Indikationen und Nebenwirkungen neuartiger Antidepressiva diskutiert. Ausblickend werden innovative Therapiestrategien wie CRH-Antagonisten und die präventive Behandlung mit Antidepressiva vorgestellt.


2006 ◽  
Vol 63 (9) ◽  
pp. 579-584 ◽  
Author(s):  
Simonetti ◽  
Konrad
Keyword(s):  

Die Urindiagnostik bei Kindern ist komplex und die Schwierigkeiten beginnen insbesondere bei Säuglingen und Kleinkindern bereits bei der Uringewinnung. Mittelstrahlurin ist eine gute Methode für Kinder mit Blasenkontrolle, bei Säuglingen ist zum Nachweis von Harnwegsinfektionen meist eine Blasenkatheterisierung oder eine suprapubische Blasenpunktion notwendig. Die Uringewinnung mittels Urinsäckli darf nur zum Ausschluss und nicht für die Diagnose von Harnwegsinfektionen angewendet werden. Eine Urinkultur sollte auf keinen Fall von einem Urinsäckli abgenommen werden. Die oft gewünschte 24-Stunden-Urinsammlung muss im Säuglingsalter durch die Einzelprobe ersetzt werden, wobei die gemessenen Konzentrationen im Verhältnis zur Kreatinin-Konzentration angegeben werden.


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