Begleitsymptomatik bei tief greifenden Entwicklungsstörungen

Author(s):  
Michele A. Noterdaeme ◽  
Elke Wriedt

Fragestellung: Neuere Untersuchungen belegen eine höhere Prävalenz für autistische Störungen als die ersten epidemiologischen Untersuchungen erwarten ließen. In dieser Untersuchung wird überprüft, wie häufig eine Intelligenzminderung sowie komorbide psychiatrische Störungen in einer klinischen Stichprobe von Patienten mit tief greifenden Entwicklungsstörungen anzutreffen sind. Methodik: Die Stichprobe besteht aus 601 Patienten mit einer tief greifenden Entwicklungsstörung. Für alle Patienten wurde das Intelligenzniveau bestimmt. Auf Achse I wurden bis zu zwei weitere Diagnosen kodiert sowie behandlungsrelevante Symptome erfasst (Ess- und Schlafstörungen, autoaggressives Verhalten), auf den Achsen V und VI die psychosozialen Belastungsfaktoren und das Gesamtniveau der psychosozialen Anpassung. Ergebnisse: Bei 26 % der Patienten lag das Intelligenzniveau im Normbereich (N = 158). 54 % aller Patienten (N = 325) hatten eine, 19 % (N = 110) zwei weitere psychiatrische Diagnosen. Die häufigsten Diagnosen waren externalisierende Störungen (N = 221). Internalisierende (N = 96) und sonstige Störungen (N = 114) kamen nur halb so oft vor. Autoaggressives Verhalten lag vor allem bei schweren Intelligenzminderungen vor. Es gab einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Auftreten von (auto-)aggressivem Verhalten und dem Ausmaß der psychosozialen Anpassung. Schlussfolgerungen: Patienten mit tief greifenden Entwicklungsstörungen zeigen eine Vielzahl komorbider Symptome. Das Vorliegen externalisierender Störungen beeinträchtigt die psychosoziale Anpassung.

Author(s):  
Elke Wriedt ◽  
Anja Wiberg ◽  
Vehbi Sakar ◽  
Michele Noterdaeme

Einleitung: Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über psychiatrische Störungen, komorbide somatische Erkrankungen, psychosoziale Belastungsfaktoren sowie psychosoziale Anpassung von Kindern und Jugendlichen mit Intelligenzminderung, die durch den Mobilen kinder- und jugendpsychiatrischen Dienst des Heckscher Klinikums behandelt wurden. Methodik: Die Befunde von 257 psychiatrisch auffälligen Kindern und Jugendlichen mit Intelligenzminderung wurden ausgewertet. Ergebnisse: In den betreuten ambulanten und teilstationären Einrichtungen waren ca. 14 %, im Wohnheimbereich über 40 % der Kinder und Jugendlichen mit intellektueller Behinderung psychiatrisch auffällig. Der Schwerpunkt der gestellten Diagnosen lag bei den Anpassungsstörungen, hyperkinetischen Störungen, Störungen des Sozialverhaltens, emotionalen Störungen sowie tiefgreifenden Entwicklungsstörungen. Die untersuchten Patienten, insbesondere mit schwerer Intelligenzminderung, wiesen ein großes Spektrum an zusätzlichen körperlichen Erkrankungen und Behinderungen auf und waren in ihrer psychosozialen Anpassung schwer beeinträchtigt. Schlussfolgerungen: Anhand der vorliegenden Zahlen lässt sich der große Bedarf nach psychiatrischer Versorgung in den Einrichtungen für Kinder und Jugendliche mit Intelligenzminderung belegen. Die Entwicklung integrativer, multidimensionaler und multiprofessioneller Behandlungsmodelle, die die besonderen Bedürfnisse der jungen Menschen mit Intelligenzminderung bzw. Mehrfachbehinderung berücksichtigen, ist dringend erforderlich.


Author(s):  
Inge Kamp-Becker ◽  
Anika Langmann ◽  
Thomas Stehr ◽  
Katharina Custodis ◽  
Luise Poustka ◽  
...  

Zusammenfassung. Fragestellung: Die deutschsprachige Version der Diagnostischen Beobachtungsskala für Autistische Störungen – 2 (ADOS-2) ist eine Revision der standardisierten Verhaltensbeobachtung für Personen mit dem Verdacht auf Vorliegen einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS). Die Studie untersucht die diagnostische Güte der originalen und revidierten Algorithmen für die Module 1 bis 3. Methodik: An einer großen Inanspruchnahmepopulation (N = 1080, Alter 1.7–20.5 Jahre) wurde die Unterscheidungsfähigkeit der ADOS-2 zu relevanten Differenzialdiagnosen untersucht. Außerdem wurden Vergleiche bezüglich der diagnostischen Güte für beide Geschlechter getrennt vorgenommen. Ergebnisse: Der revidierte Algorithmus weist eine verbesserte Sensitivität (84.9 %) bei jedoch leicht reduzierter Spezifität (85.7 %) auf. Verbesserungen der ADOS-2 betreffen vor allem Fälle von frühkindlichem Autismus und die korrekte Klassifizierung von Mädchen. Der Einschluss von repetitiven, stereotypen Verhaltensweisen in den Algorithmus erhöht die korrekte Klassifikation in den Modulen 2 und 3. Für jüngere Kinder im Modul 1 ist dies jedoch nicht der Fall. Es zeigt sich darüber hinaus eine geringere Differenzierungsfähigkeit zu internalisierenden Störungen und Störungen des Sozialverhaltens. Schlussfolgerungen: Eine gute diagnostische Güte der ADOS-2 wurde vor allem für Kinder mit durchschnittlichen kognitiven Fähigkeiten gefunden. Die Ergebnisse sprechen für eine gute Anwendbarkeit der ADOS-2 für klinische Populationen. Voraussetzung ist jedoch eine sorgfältige und breite Diagnostik durch erfahrene Untersucher. Schlüsselwörter: ADOS, Diagnostik von Autismus-Spektrum-Störungen, Sensitivität, Spezifität


2014 ◽  
Vol 62 (3) ◽  
pp. 175-181 ◽  
Author(s):  
Petra Retz-Junginger ◽  
Wolfgang Retz ◽  
Ann-Kathrin Koch ◽  
Michael Rösler

Der sexuelle Missbrauch von Kindern stellt ein weltweites Phänomen mit hoher gesellschaftlicher Bedeutung dar. Die ermittelten Prävalenzraten für sexuellen Missbrauch variieren erheblich. Übereinstimmend wird festgestellt, dass Mädchen häufiger von Übergriffen betroffen sind als Jungen. In der Folge sind bei zahlreichen Betroffenen Verhaltensauffälligkeiten zu registrieren, die jedoch weder spezifisch noch eineindeutig für einen sexuellen Missbrauch sind. Häufig werden als Folgen Symptome einer akuten Belastungsstörung und/oder posttraumatischen Belastungsstörung registriert sowie Depression, Angststörungen, Substanzmissbrauch oder -abhängigkeit oder andere psychiatrische Störungen. Neben dem weiblichen Geschlecht stellt ein höheres Kindesalter einen Risikofaktor für sexuellen Missbrauch in der Kindheit dar. Es liegen Untersuchungsergebnisse vor, die auf einen Zusammenhang zwischen ADHS und sexuellem Missbrauch schließen lassen, indem einerseits die Rate an ADHS-Diagnosen bei sexuell Missbrauchten im Vergleich zur Normalpopulation erhöht ist und andererseits ADHS-Patientinnen häufig sexuelle Übergriffe in Kindheit oder Jugend schildern. Die bislang vorliegenden Studienergebnisse weisen jedoch nicht konsistent in eine Richtung. Es ist bei der Interpretation der vorliegenden Daten die Abhängigkeit der Ergebnisse von der jeweiligen Untersuchungsmethodik zu berücksichtigen und weitere systematische Untersuchungen an ausreichend großen Stichproben sollten folgen.


Author(s):  
Christine M. Freitag

Autistische Störungen (AS) zeichnen sich durch Einschränkungen in den drei Bereichen soziale Interaktion, Kommunikation und Sprache sowie durch stereotypes Verhalten und Sonderinteressen aus. Im Rahmen der Frühförderung bei AS geht es um eine umfassende Förderung der gemeinsamen Aufmerksamkeit, des Spielverhaltens, der Sprachentwicklung sowie insbesondere der sozialen Interaktion und Kommunikation. Es existieren unterschiedliche, empirisch relativ gut überprüfte, verhaltenstherapeutische Ansätze und Therapieprogramme, die in diesem Artikel zusammengefasst sind. Dabei wird besonderer Wert auf die wissenschaftliche Evidenz der jeweiligen Ansätze gelegt.


2015 ◽  
Vol 26 (1) ◽  
pp. 32-34
Author(s):  
Christian Sanmann

Zusammenfassung. In dem Beitrag werden die diagnostischen Potenziale kunsttherapeutischer Arbeit für autistische Störungen herausgestellt, die im Rahmen einer qualitativen Einzelfallstudie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie untersucht wurden. Das besondere Augenmerk richtete sich dabei auf die genauere Klärung der Möglichkeiten und Grenzen einer angemessenen „diagnostischen“ Analyse künstlerischer Werke. Parallel wurden typische Merkmale (inhaltlich und formal) in den bildnerischen Werken beschrieben, die mit den Auffassungen zu autistischen Störungen in Zusammenhang gebracht wurden. Als methodisches Instrument dafür wurde die Expertenvalidierung verwendet. Die Ergebnisse verweisen auf Potenziale interpretativer Diagnostik, die in der Kunsttherapie empirisch weiter zu untersuchen sind. Es wird begründet, weshalb es sich lohnt, diese als spezifisch qualitativen Zugang zu verstehen und ergänzend in einen umfassenderen diagnostischen Gesamtprozess einzubringen.


2018 ◽  
Vol 27 (2) ◽  
pp. 81-90 ◽  
Author(s):  
Katharina Ackermann ◽  
Gerhard Büttner ◽  
Anka Bernhard ◽  
Anne Martinelli ◽  
Christine M. Freitag ◽  
...  

Zusammenfassung. Kinder und Jugendliche mit aggressiven Verhaltensweisen zeigen gehäuft Probleme in der sozialen Interaktion. Das Eingehen und Aufrechterhalten von Freundschaften gilt im Jugendalter als Entwicklungsaufgabe, deren Gelingen oder Misslingen sich auf die psychosoziale Anpassung auswirken kann. Bezüglich Freundschaftsqualitäten und aggressiven Verhaltensweisen weist die Literatur jedoch heterogene Befunde auf. Die vorliegende Übersichtsarbeit stellt Zusammenhänge zwischen Freundschaftsqualitäten und unterschiedlichen Kategorien aggressiven Verhaltens dar, die diese Unterschiede erklären können. Dabei wird deutlich, dass offen, relational, reaktiv und proaktiv aggressives Handeln mit vermehrt konfliktreichen Freundschaften im Zusammenhang steht. Ein Teil der Studien weist zusätzlich auf intime und unterstützende Freundschaften im Zusammenhang mit relationaler und proaktiver Aggression hin. Die Ergebnisse werden hinsichtlich ihrer Relevanz für die Forschung und den klinischen Alltag diskutiert.


2008 ◽  
Vol 27 (S 01) ◽  
pp. S38-S39 ◽  
Author(s):  
S. Springer ◽  
E. Wriedt ◽  
M. Noterdaeme

ZusammenfassungFragestellung: Die Früherkennung von autistischen Störungen ist von entscheidender Bedeutung für die Prognose der betroffenen Menschen. Die diagnostischen Instrumente ermöglichen eine relativ sichere Einschätzung ab einem Entwicklungsalter von 18 Monaten. Es wird untersucht, in welchem Alter die ersten Symptome berichtet werden und wann die Diagnose einer autistischen Störung in der Versorgungsregion Oberbayern gestellt wird. Methodik: Die Stichprobe besteht aus 488 Patienten, bei denen zwischen 1997 und 2007 die Diagnose einer autistischen Störung gestellt wurde. Bei allen Patienten liegen ausführliche anamnestische, psychiatrische, neurologische und neuropsychologische Daten vor. Ergebnisse: Es stellt sich heraus, dass für die Kategorie ,,frühkindlicher Autismus (F84.0)“ Eltern vor dem 2. Lebensjahr über deutliche Probleme berichten. Die diagnostische Zuordnung erfolgt im Alter von sechs Jahren. Beim Asperger Syndrom (F84.5) werden die Probleme zwischen dem 3. und 4. Lebensjahr deutlich, die Diagnosestellung erfolgt mit neun Jahren. Schlussfolgerungen: Obwohl autistische Störungen früh beginnen und Eltern in den ersten Lebensjahren über Auffälligkeiten berichten, wird die Diagnose erst nach mehreren Jahren gestellt.


2004 ◽  
Vol 23 (07) ◽  
pp. 406-414
Author(s):  
P. Eichhammer ◽  
G. Hajak ◽  
P. Sand

ZusammenfassungPsychiatrische Störungen entwickeln sich aus dem Zusammenspiel von Umwelteinflüssen und genetischen Einflüssen, die stark unterschiedlich gewichtet sein können. In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind die relativen Anteile genetischer Faktoren intensiv erforscht worden und haben zugleich wertvolle Einblicke in die Pathophysiologie einzelner Störungen gewährt. Neben der Weiterentwicklung von genetischen Techniken und Strategien zu deren Anwendung ist dabei das Augenmerk wieder vermehrt auf die klinische Beobachtungsgabe gerichtet worden. In der vorliegenden Übersicht werden bereits bewährte und neue Methoden der psychiatrischen Genetik vorgestellt und Ergebnisse bisheriger Arbeiten zu ausgewählten Störungen referiert.


2009 ◽  
Vol 6 (04) ◽  
pp. 191-198
Author(s):  
C. Konrad ◽  
A. Krug ◽  
T. Kircher

ZusammenfassungPsychiatrische Störungen sind zu einem großen Teil erblich beeinflusst. Ein verbessertes Verständnis der molekulargenetischen Grundlagen dieser Erblichkeit ist für Klassifikation, Erforschung der Pathogenese und Therapie bedeutsam. Die Gewinnung neuer Erkenntnisse hängt dabei entscheidend von der Auswahl des untersuchten Phänotyps ab. Die Varianz beobachtbarer Phänotypen wird durch eine Vielzahl unterschiedlicher Einflussfaktoren zu einem geringeren Anteil genetisch beeinflusst als die Varianz von Endophänotypen, die mit Hilfe der strukturellen und funktionellen Bildgebung beobachtet werden können. Wichtige Erkenntnisse aus der genetischen Depressions- und Schizophrenieforschung werden zu diesem Thema zusammengefasst. Der Einfluss von Kandidatengenen auf Erleben und Verhalten sowie auf strukturelle und funktionelle Bildgebungscharakteristika wird dargestellt, u.a. bezüglich des Serotonintransporter-Gens (5HTTLPR), Brain Derived Neurotrophic Factor (BDNF), Catechyl-O-Methyl-Transferase (COMT), Neuregulin1 (NRG1), Dysbindin (dystrobrevin binding protein 1, DTNBP1) und Zinkfinger Protein 804A (ZNF804A). Perspektiven für die psychiatrische Forschung werden diskutiert.


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