ADHS und sexueller Missbrauch

2014 ◽  
Vol 62 (3) ◽  
pp. 175-181 ◽  
Author(s):  
Petra Retz-Junginger ◽  
Wolfgang Retz ◽  
Ann-Kathrin Koch ◽  
Michael Rösler

Der sexuelle Missbrauch von Kindern stellt ein weltweites Phänomen mit hoher gesellschaftlicher Bedeutung dar. Die ermittelten Prävalenzraten für sexuellen Missbrauch variieren erheblich. Übereinstimmend wird festgestellt, dass Mädchen häufiger von Übergriffen betroffen sind als Jungen. In der Folge sind bei zahlreichen Betroffenen Verhaltensauffälligkeiten zu registrieren, die jedoch weder spezifisch noch eineindeutig für einen sexuellen Missbrauch sind. Häufig werden als Folgen Symptome einer akuten Belastungsstörung und/oder posttraumatischen Belastungsstörung registriert sowie Depression, Angststörungen, Substanzmissbrauch oder -abhängigkeit oder andere psychiatrische Störungen. Neben dem weiblichen Geschlecht stellt ein höheres Kindesalter einen Risikofaktor für sexuellen Missbrauch in der Kindheit dar. Es liegen Untersuchungsergebnisse vor, die auf einen Zusammenhang zwischen ADHS und sexuellem Missbrauch schließen lassen, indem einerseits die Rate an ADHS-Diagnosen bei sexuell Missbrauchten im Vergleich zur Normalpopulation erhöht ist und andererseits ADHS-Patientinnen häufig sexuelle Übergriffe in Kindheit oder Jugend schildern. Die bislang vorliegenden Studienergebnisse weisen jedoch nicht konsistent in eine Richtung. Es ist bei der Interpretation der vorliegenden Daten die Abhängigkeit der Ergebnisse von der jeweiligen Untersuchungsmethodik zu berücksichtigen und weitere systematische Untersuchungen an ausreichend großen Stichproben sollten folgen.

2005 ◽  
Vol 62 (4) ◽  
pp. 230-237 ◽  
Author(s):  
Renteria

Epidemiologische Studien zeigen eine Prävalenz von Missbrauchserfahrungen bei Mädchen zwischen 14 und 33%. Indizien für einen Missbrauch sind zwar im Einzelnen unspezifisch, bei gleichzeitigem Auftreten jedoch bedeutungsvoll: Somatische Indizien sind sexuell übertragbare Erkrankungen, Schwangerschaft, unerklärbare Blutungen, rezidivierende genitale Beschwerden. Psychosoziale nichtsexuelle Indikatoren sind neu aufgetretene Verhaltensschwierigkeiten, Ausreissen, Esstörungen etc; Psychosexuelle Indikatoren sind eine Hypersexualisation der Sprache und des Verhalten, ein gestörtes Körpergefühl und gestörte Geschlechstidentität. Als indirekt beweisende Befunde gelten neben alten Genital oder/und Analläsionen Einrisse des Hymens bis auf den Insertionssaum, die sich an tpyischer Stellle im hinteren Bereich der Kommissur finden. Die Abklärung und Betreuung von Kindern, bei denen Verdachtsmomente, aber keine sicheren Indizien bestehen, setzt eine hohe Kompetenz und eine multdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Kindergynäkologen, Kinderpsychiatern, Kinderschutzgruppen und eventuell weiteren beteiligten Fachleuten voraus, um einerseits nicht ungerechtfertigt Familienstrukturen schwer zu belasten und damit den Kindern zu schaden, um andererseits aber auch sicherzustellen, dass die Opfer eine umfassende akute und langfristige medizinische und psychosoziale Betreuung erfahren.


Author(s):  
Elke Wriedt ◽  
Anja Wiberg ◽  
Vehbi Sakar ◽  
Michele Noterdaeme

Einleitung: Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über psychiatrische Störungen, komorbide somatische Erkrankungen, psychosoziale Belastungsfaktoren sowie psychosoziale Anpassung von Kindern und Jugendlichen mit Intelligenzminderung, die durch den Mobilen kinder- und jugendpsychiatrischen Dienst des Heckscher Klinikums behandelt wurden. Methodik: Die Befunde von 257 psychiatrisch auffälligen Kindern und Jugendlichen mit Intelligenzminderung wurden ausgewertet. Ergebnisse: In den betreuten ambulanten und teilstationären Einrichtungen waren ca. 14 %, im Wohnheimbereich über 40 % der Kinder und Jugendlichen mit intellektueller Behinderung psychiatrisch auffällig. Der Schwerpunkt der gestellten Diagnosen lag bei den Anpassungsstörungen, hyperkinetischen Störungen, Störungen des Sozialverhaltens, emotionalen Störungen sowie tiefgreifenden Entwicklungsstörungen. Die untersuchten Patienten, insbesondere mit schwerer Intelligenzminderung, wiesen ein großes Spektrum an zusätzlichen körperlichen Erkrankungen und Behinderungen auf und waren in ihrer psychosozialen Anpassung schwer beeinträchtigt. Schlussfolgerungen: Anhand der vorliegenden Zahlen lässt sich der große Bedarf nach psychiatrischer Versorgung in den Einrichtungen für Kinder und Jugendliche mit Intelligenzminderung belegen. Die Entwicklung integrativer, multidimensionaler und multiprofessioneller Behandlungsmodelle, die die besonderen Bedürfnisse der jungen Menschen mit Intelligenzminderung bzw. Mehrfachbehinderung berücksichtigen, ist dringend erforderlich.


Author(s):  
Michele A. Noterdaeme ◽  
Elke Wriedt

Fragestellung: Neuere Untersuchungen belegen eine höhere Prävalenz für autistische Störungen als die ersten epidemiologischen Untersuchungen erwarten ließen. In dieser Untersuchung wird überprüft, wie häufig eine Intelligenzminderung sowie komorbide psychiatrische Störungen in einer klinischen Stichprobe von Patienten mit tief greifenden Entwicklungsstörungen anzutreffen sind. Methodik: Die Stichprobe besteht aus 601 Patienten mit einer tief greifenden Entwicklungsstörung. Für alle Patienten wurde das Intelligenzniveau bestimmt. Auf Achse I wurden bis zu zwei weitere Diagnosen kodiert sowie behandlungsrelevante Symptome erfasst (Ess- und Schlafstörungen, autoaggressives Verhalten), auf den Achsen V und VI die psychosozialen Belastungsfaktoren und das Gesamtniveau der psychosozialen Anpassung. Ergebnisse: Bei 26 % der Patienten lag das Intelligenzniveau im Normbereich (N = 158). 54 % aller Patienten (N = 325) hatten eine, 19 % (N = 110) zwei weitere psychiatrische Diagnosen. Die häufigsten Diagnosen waren externalisierende Störungen (N = 221). Internalisierende (N = 96) und sonstige Störungen (N = 114) kamen nur halb so oft vor. Autoaggressives Verhalten lag vor allem bei schweren Intelligenzminderungen vor. Es gab einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Auftreten von (auto-)aggressivem Verhalten und dem Ausmaß der psychosozialen Anpassung. Schlussfolgerungen: Patienten mit tief greifenden Entwicklungsstörungen zeigen eine Vielzahl komorbider Symptome. Das Vorliegen externalisierender Störungen beeinträchtigt die psychosoziale Anpassung.


2011 ◽  
Vol 20 (2) ◽  
pp. 61-63 ◽  
Author(s):  
Jörg M. Fegert ◽  
Franz Petermann

Erst allmählich werden negative Ereignisse und Erlebnisse aus der Kindheit und Jugend systematisch auf ihre Auswirkungen auf den Lebenslauf untersucht. In Deutschland starten 2011 auf dem Hintergrund von dramatischen Beispielen der Kindesvernachlässigung und sexuellen Missbrauchs Initiativen im Bereich der Forschung und der Betreuung solch traumatisierter und belasteter Kinder und Jugendlicher. Eine umfassende Bestandsaufnahme für Deutschland ist nötig, niederschwellige Beratungsangebote und Formen der evidenzbasierte Psychotherapie werden empfohlen.


2004 ◽  
Vol 23 (07) ◽  
pp. 406-414
Author(s):  
P. Eichhammer ◽  
G. Hajak ◽  
P. Sand

ZusammenfassungPsychiatrische Störungen entwickeln sich aus dem Zusammenspiel von Umwelteinflüssen und genetischen Einflüssen, die stark unterschiedlich gewichtet sein können. In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind die relativen Anteile genetischer Faktoren intensiv erforscht worden und haben zugleich wertvolle Einblicke in die Pathophysiologie einzelner Störungen gewährt. Neben der Weiterentwicklung von genetischen Techniken und Strategien zu deren Anwendung ist dabei das Augenmerk wieder vermehrt auf die klinische Beobachtungsgabe gerichtet worden. In der vorliegenden Übersicht werden bereits bewährte und neue Methoden der psychiatrischen Genetik vorgestellt und Ergebnisse bisheriger Arbeiten zu ausgewählten Störungen referiert.


2009 ◽  
Vol 6 (04) ◽  
pp. 191-198
Author(s):  
C. Konrad ◽  
A. Krug ◽  
T. Kircher

ZusammenfassungPsychiatrische Störungen sind zu einem großen Teil erblich beeinflusst. Ein verbessertes Verständnis der molekulargenetischen Grundlagen dieser Erblichkeit ist für Klassifikation, Erforschung der Pathogenese und Therapie bedeutsam. Die Gewinnung neuer Erkenntnisse hängt dabei entscheidend von der Auswahl des untersuchten Phänotyps ab. Die Varianz beobachtbarer Phänotypen wird durch eine Vielzahl unterschiedlicher Einflussfaktoren zu einem geringeren Anteil genetisch beeinflusst als die Varianz von Endophänotypen, die mit Hilfe der strukturellen und funktionellen Bildgebung beobachtet werden können. Wichtige Erkenntnisse aus der genetischen Depressions- und Schizophrenieforschung werden zu diesem Thema zusammengefasst. Der Einfluss von Kandidatengenen auf Erleben und Verhalten sowie auf strukturelle und funktionelle Bildgebungscharakteristika wird dargestellt, u.a. bezüglich des Serotonintransporter-Gens (5HTTLPR), Brain Derived Neurotrophic Factor (BDNF), Catechyl-O-Methyl-Transferase (COMT), Neuregulin1 (NRG1), Dysbindin (dystrobrevin binding protein 1, DTNBP1) und Zinkfinger Protein 804A (ZNF804A). Perspektiven für die psychiatrische Forschung werden diskutiert.


Author(s):  
Fabian Moser ◽  
Leonhard H. Schütz ◽  
Christian Teubner ◽  
Nils Lahmann ◽  
Adelheid Kuhlmey ◽  
...  

Zusammenfassung Hintergrund Gewalt gegen pflegebedürftige ältere Menschen ist häufig. Hausärzte/-ärztinnen können bei der Prävention von Gewalt eine Rolle spielen. Insbesondere sexualisierte Gewalt ist stark tabuisiert und wenig untersucht. Ziel der Arbeit Ziel dieser Arbeit ist es, die Einstellung von Hausärzten/-ärztinnen zu ihrer Verantwortung bei sexuellem Missbrauch pflegebedürftiger Patienten/Patientinnen zu untersuchen. Zugleich sollen die subjektive Sicherheit hinsichtlich des Vorgehens bei einem Missbrauchsverdacht sowie die Fortbildungsinteressen von Hausärzten/-ärztinnen zum Thema erhoben werden. Material und Methoden In einer Querschnittsstudie wurden 1700 Hausärzte/-ärztinnen in Deutschland zwischen September und November 2016 schriftlich befragt. Fragebogen von 302 Ärzten/Ärztinnen konnten ausgewertet werden. Ergebnisse Die Unsicherheit hinsichtlich des weiteren Vorgehens bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch von pflegebedürftigen Patienten/Patientinnen ist groß. Nahezu alle Befragten sehen es als Teil der ärztlichen Verantwortung, bei sexuellem Missbrauch pflegebedürftiger Patienten/Patientinnen zu intervenieren. Hauptsächliches Fortbildungsinteresse besteht zur Differenzialdiagnose des sexuellen Missbrauchs sowie zum richtigen Vorgehen im Verdachtsfall. Schlussfolgerung Fortbildungen, insbesondere zu den Anzeichen sexueller Gewalt gegen Pflegebedürftige, können einen Beitrag leisten, die Handlungssicherheit von Hausärzten/-ärztinnen zu stärken und ihre Bereitschaft zur Prävention zu erhöhen.


2021 ◽  
Author(s):  
Christoph Schilling ◽  
Kerstin Weidner
Keyword(s):  

ZusammenfassungDas Fibromyalgiesyndrom (FMS) wird im psychosomatischen Kontext als stressinduzierte Schmerzerkrankung durch eine Sensibilisierung der zentralnervösen schmerzverarbeitenden Systeme verstanden. Das FMS zeigt hohe Komorbiditäten mit psychischen bzw. psychosomatischen Störungen wie Depression, Angststörungen, somatoformen Störungen und Persönlichkeitsstörungen. Biografisch frühe Stresserfahrungen und Traumatisierungen wie körperlicher oder sexueller Missbrauch in der Kindheit bilden eine Vulnerabilität für die spätere Entwicklung eines FMS. Die Gruppe der FMS-Patient/innen ist hinsichtlich der pathophysiologischen Entstehungswege heterogen, weshalb eine mechanismenbasierte Differenzierung von Subgruppen sinnvoll erscheint. Typische Teufelskreise der Chronifizierung des FMS werden beschrieben und die Wichtigkeit einer gelingenden Arzt-Patient/in-Beziehung herausgestellt. Schwergegradgestuftes Vorgehen und Kommunikationsstrategien werden am Fallbeispiel dargestellt.


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