ZusammenfassungDen Ausgangspunkt des Aufsatzes bildet die Frage, ob und inwiefern die These von der protestantischen Ethik Max Webers und der von ihm entwickelte Sektentypus als geeignete Interpretamente anzusehen sind, um das religiöse Selbstverständnis sowie das Sozial- und Wirtschaftsverhalten mennonitischer Bauernfamilien im linksrheinischen deutschen Südwesten zwischen 1632 und 1850 plausibel zu rekonstruieren und zu analysieren. Auf der Grundlage einer kritischen Würdigung des religionssoziologischen Ansatzes Max Webers und unter Berücksichtigung neuerer Forschungsansätze der Täuferforschung werden die Grade der Abweichung der mennonitischen Glaubensgemeinschaften im deutschen Südwesten vom Idealtypus der Sekte in den Bereichen Bekenntnisentwicklung, Organisations- und Ämterstruktur, familiäre und verwandtschaftliche Verankerung der Glaubensgemeinschaft und soziale Differenzierung vorgestellt und erläutert. Im Ergebnis wird der von Max Weber allen Mitgliedern protestantischer Sekten unterstellte Individualismus und Habitus rationaler Lebensführung, der als wesentlicher mentaler Faktor für die Ausprägung des kapitalistischen Geistes anzusehen ist, weitgehend auf bestimmte Mitglieder eingeschränkt, die informelle und formelle Führungsaufgaben übernahmen. Die Genese rationaler Lebensführung wird hypothetisch als das Produkt dialektischer Prozesse endogener und exogener Faktoren beurteilt. Zu den endogenen Faktoren gehören Abkehr von Mission, Anerkennung der Obrigkeit, kirchenähnliche Gemeindebildung, Schärfung der Kirchenzucht und Intensivierung innerweltlicher Askese sowie Zuwachs zentraler Aufgaben bei einzelnen Mitgliedern, zu den exogenen Faktoren sind tolerantere Religionspolitik und wachsende Bedeutung ökonomischer Zielvorgaben der Obrigkeiten, verbesserte Rechtslage für Minderheiten sowie Verdichtung und Dynamisierung von Marktbeziehungen zu zählen.