Warum ist die „Anzahl vorzeitiger Todesfälle durch Umweltexpositionen“ nicht angemessen quantifizierbar?
ZusammenfassungIn epidemiologischen Studien und deren Anwendung bei Schadstoffregulierungen (z. B. durch WHO, USA, EU) werden Wirkungen von Umweltexpositionen auf Bevölkerungen („Burden Of Disease“, „Krankheitslast“) oft mittels der verursachten „Anzahl vorzeitiger Todesfälle“, d. h. der durch die Exposition zeitlich vorverlagerten Todesfälle, quantifiziert. Ein aktuelles Beispiel ist die Studie von Schneider et al. zu Krankheitslasten durch Stickstoffdioxid (NO2)-Exposition in Deutschland, durchgeführt im Auftrag des Umweltbundesamtes. Die Autoren ermittelten den Anteil der durch die Exposition verursachten vorzeitigen Todesfälle mittels der „Attributablen Fraktion“ (AF). Gleichwohl können die wahren Zahlen vorzeitiger Todesfälle durch NO2 viel größer oder kleiner sein. Tatsächlich hatten Robins und Greenland bereits 1989 gezeigt, dass der AF-Ansatz nicht angemessen ist. Trotz der weitreichenden Bedeutung für Epidemiologie und Public Health wurde ihre wegweisende Arbeit nicht adäquat berücksichtigt, möglicherweise aufgrund der anspruchsvollen mathematischen Argumentation. Unser Beitrag erläutert – mit einfachen Methoden – unbeachtete aber bedeutende Fallstricke. Wir empfehlen, auf das Konzept der „Anzahl vorzeitiger Todesfälle“ zu verzichten und stattdessen die durch die Exposition verlorene Lebenszeit anzugeben, berechnet pro Person. Diese sollte aber nicht für unterschiedliche Todesursachen (Erkrankungen) und/oder Altersverteilungen aufgeschlüsselt werden. Wir zeigen zudem, dass „Disability Adjusted Life Years“ (DALY) kein angemessenes Maß sind, um Expositionswirkungen in der Bevölkerung zu bewerten.