Patientenperspektive auf die Versorgungssituation im Krankheitsbild Morbus Parkinson in Deutschland – eine Querschnittserhebung

2018 ◽  
Vol 45 (10) ◽  
pp. 703-713 ◽  
Author(s):  
Sebastian Binder ◽  
Sergiu Groppa ◽  
Dirk Woitalla ◽  
Thomas Müller ◽  
Ingmar Wellach ◽  
...  

Zusammenfassung Hintergrund Wenig ist über die patientenseitig wahrgenommene Versorgungssituation des Morbus Parkinson in Deutschland bekannt. Im Einzelnen besteht ein gesteigertes Interesse der Versorgungsforschung, besser zu verstehen, welche Rolle verschiedene Akteure im Versorgungsprozess über den Krankheitsverlauf hinweg einnehmen, welche möglichen Unterschiede zwischen Versorgungsstrukturen bzw. -regionen bestehen und wie sich die Zufriedenheit der Patienten in Bezug auf die individuelle Versorgungssituation darstellt. Methodik Im Jahr 2016 wurde aus diesem Grund eine Querschnittsbefragung unter Mitgliedern der Deutschen Parkinson Vereinigung (dPV) durchgeführt und Daten von 1273 Mitgliedern erhoben. Der angewandte Fragebogen umfasste unter anderem die Dimensionen der ärztlichen Versorgung (Diagnostik, medikamentöse Therapie, Betreuung) und der bezogenen Begleittherapien. Deskriptive und inferenzstatistische Auswertungen dieser beiden Dimensionen sind Teil der vorliegenden Arbeit. Ergebnisse Nach Aussage der Befragten erfolgte die endgültige Diagnosestellung des Morbus Parkinson zu 61,0 % (n = 787) durch Fachärzte mit der Spezialisierung Neurologie und/oder Psychiatrie (Neurologen/Psychiater) und zu weiteren 17,4 % (n = 222) in einer neurologischen Klinik. 50,0 % der Befragten geben an, nach initialen Symptomen, die sie mit Parkinson assoziierten, ein Jahr oder länger auf ihre Diagnose gewartet zu haben. Die medikamentöse Therapie wurde in der Folge in 90,1 % (n = 1089) durch Neurologen/Psychiater eingeleitet. Vor der Diagnosestellung konsultierten Patienten aufgrund initialer mit Morbus Parkinson assoziierter Symptome mindestens einmal zu 69,0 % (n = 878) einen Allgemeinmediziner, zu 37,6 % (n = 436) einen Neurologen/Psychiater, zu 29,4 % (n = 374) einen Orthopäden und zu 23,9 % (n = 304) einen Internisten. Bei stratifizierter Betrachtung nach Wohnortgröße zeigt sich, dass der Anteil der Diagnosen durch Allgemeinmediziner und Internisten in ländlichen Regionen mit weniger Einwohnern graduell zunimmt: Großstadt 5,8 %, n = 17; Mittelstadt 7,7 %, n = 19; Kleinstadt: 9,9 %, n = 28; Gemeinde: 12,7 %, n = 30 (χ2 (3, n = 1063) = 8,521; p = 0,036). Die Therapieeinleitung durch Allgemeinmediziner und Internisten war in ländlichen Regionen mehr als doppelt so wahrscheinlich wie in urbanen Regionen (OR:2,16; 95%-CI:1,36 – 3,44, p = 0,001, adjustiert für Geschlecht und Alter). Bei einem durch den Allgemeinmediziner/Internisten diagnostizierten Morbus Parkinson erfolgte die Therapieeinleitung signifikant später (χ2 (3, n = 799) = 13,094; p = 0,004). Als Begleittherapie erhielten die Patienten am häufigsten Physiotherapie 85,0 % (n = 1032); gefolgt von Logopädie (30,4 %, n = 284) und Ergotherapie (27,4 %, n = 246). Die Wahrnehmung der Zufriedenheit divergiert zwischen ärztlicher Versorgung und Begleittherapie (Skala: 0 = gar nicht zufrieden bis 5 = sehr zufrieden). Für die Zufriedenheit mit der Anzahl der Arztbesuche lag der Mittelwert bei 4,4 (SD: ± 1,3). Die durchschnittliche Bewertung des Umfangs der erhaltenen Begleittherapie (Skala: 0 = gar nicht ausreichend bis 5 = absolut ausreichend) lag für Ergotherapie bei 2,3 (SD: ± 2,0), für Logopädie bei 2,4 (SD: ± 2,0) und für Physiotherapie bei 3,0 (SD: ± 1,7). Schlussfolgerung Die Ergebnisse der Querschnittserhebung zur wahrgenommenen Versorgungsituation geben wieder, dass Parkinson-Patienten aus dem Kollektiv der dPV in der prädiagnostischen Phase verschiedene Facharztgruppen wie Allgemeinmediziner, Orthopäden und Internisten konsultieren, während Diagnose und Therapieeinleitung vordergründig bei den Neurologen/Psychiatern verortet ist. Regionale Unterschiede in der Versorgungsstruktur spiegeln sich in den Ergebnissen nicht ausgeprägt wider und begrenzen sich auf eine anteilig gewichtigere Rolle der Allgemeinmediziner und Internisten in ländlichen Regionen. Wohnortübergreifend scheinen Begleittherapien nicht zur ausreichenden Zufriedenheit der Patienten in die Versorgung integriert zu sein.

2012 ◽  
Vol 31 (11) ◽  
pp. 844-849
Author(s):  
B. Akmaz ◽  
W. Janetzky ◽  
B. A. Kuchinke

ZusammenfassungDie Kosten extrapyramidaler Erkrankungen, z. B. des idiopathischen Parkinson-Syndroms (IPS), nehmen in Deutschland ständig zu und haben 2008 bei mehr als 2,3 Milliarden Euro gelegen. Dies entspricht im Vergleich zu 2006 einem Anstieg von 10,84%. Wegen des progredienten Charakters von Morbus Parkinson werden im Rahmen dieses Beitrags drei Fragen gestellt und analysiert: wie hoch die jähr-lichen Kosten für IPS-Patienten sind, ob einzelne Schweregrade der Erkrankung zu unterschiedlichen Kosten führen und ob eine frühzeitige Diagnose und Therapie ceteris paribus nicht nur einen Nutzen für den Patienten darstellt, sondern gleichzeitig auch Kosteneinsparpotenziale realisiert werden. Auf Basis von Studien sowie eigener Berechnungen wird gezeigt, dass die Kosten pro Jahr und Patient bis zu 18 680 Euro (H&Y IV und V) betragen und erheblich vom Schweregrad der Erkrankung abhängen. Darauf aufbauend wird diskutiert, ob durch eine frühzeitige medikamentöse Therapie und eine Verlangsamung des Verlaufs der Erkrankung ein erhebliches Kostensenkungspotenzial besteht.


2007 ◽  
Vol 64 (1) ◽  
pp. 21-27
Author(s):  
Kaelin-Lang ◽  
Stibal

In den letzten Jahren haben chirurgische Eingriffe bei M. Parkinson eine Renaissance erlebt. Hauptgrund ist die so genannte «tiefe Hirnstimulation», die fast überall die früher üblichen stereotaktischen Läsionen verdrängt hat. Anstatt Gewebe irreversibel zu zerstören, wird bei der «tiefen Hirnstimulation» eine spezifische Region der Basalganglien mit einer Elektrode elektrisch stimuliert. Insbesondere die bilaterale Stimulation des Nucleus subthalamicus hat sich als chirurgische Therapie der Wahl bei M. Parkinson etabliert. Aber auch die «tiefe Hirnstimulation» des Globus pallidus oder des Thalamus ist bei einzelnen Patienten weiterhin indiziert. Die tiefe Hirnstimulation ist eine sehr effiziente Methode zur symptomatischen Behandlung der motorischen Komplikationen des M. Parkinson, die unter medikamentöser Therapie nicht mehr befriedigend eingestellt werden können. Insbesondere Dyskinesien, Bradykinesie, Tremor und Rigor können gut behandelt werden und die medikamentöse Therapie oft reduziert werden. Wie weit die Besserung dieser motorischen Symptome langfristig die Lebensqualität verbessert ist aber noch ungenügend belegt. Bei Patienten mit schweren kognitiven und psychiatrischen Symptomen oder mit schweren axialen Symptomen wie Schluckstörungen ist ein Eingriff gut abzuwägen, da sich diese Symptome postoperativ verschlechtern können.


Author(s):  
Melanie Bischoff ◽  
Andreas Redel

ZusammenfassungEtwa ein Drittel aller Patienten, die sich einem operativen Eingriff unterziehen, nehmen chronisch Psychopharmaka ein. Neben Depressionen und Psychosen stellen chronische Schmerzen sowie Angst- und Panikstörungen die häufigsten Indikationen dar. In den vergangenen 30 Jahren stieg die Häufigkeit der Verordnung von Psychopharmaka um das 7-Fache. Fast alle Psychopharmaka interagieren mit Medikamenten, die perioperativ häufig gegeben werden, beispielsweise mit 5-HT3-Antagonisten, Sympathomimetika oder Opioiden. Einige der Medikamente weisen eine enge therapeutische Breite auf und nicht alle Medikamente können perioperativ pausiert werden. Im Rahmen der präoperativen Risikoevaluation ist daher eine Prüfung im Einzelfall notwendig. Der Anästhesist muss zudem bei Gabe bestimmter Medikamente während der Narkose besondere Vorsicht walten lassen oder ganz auf diese verzichten.Bei der Therapie vieler neurologischer Erkrankungen stellen Medikamente die zentrale Säule dar. Häufig begegnen dem Anästhesisten Patienten mit einer Epilepsie, mit Morbus Parkinson oder mit einer Myasthenia gravis, die eine entsprechende medikamentöse Therapie erhalten. Das perioperative Pausieren der Medikamente lässt zumeist eine Befundverschlechterung der neurologischen Grunderkrankung befürchten. Auf die möglichst rasche postoperative Einnahme der Dauermedikation ist daher besonderer Wert zu legen.


neuroreha ◽  
2017 ◽  
Vol 09 (03) ◽  
pp. 119-124
Author(s):  
Laura Paschen ◽  
Karsten Witt

ZusammenfassungEtwa 12.500 Menschen/Jahr erhalten in Deutschland die Diagnose Morbus Parkinson und sehen sich mit Einschränkung, Stigma und Invalidität konfrontiert. Obwohl sich die Lebenserwartung der Erkrankten deutlich gebessert hat, ist die Diagnose daher weiterhin mit Angst verbunden. Medikamentöse Therapie und aktivierende Behandlungsmethoden haben einen wichtigen Stellenwert, dennoch entwickeln sich häufig motorische Wirkfluktuationen, die sich medikamentös nicht auffangen lassen. Seit nunmehr 30 Jahren ist jedoch die Tiefe Hirnstimulation verfügbar. Sie steht seither für die Faszination, die Funktion des Gehirns zu modulieren, und für die damit oftmals verbundene große Chance auf ein besseres Leben mit der unheilbaren Erkrankung.


2011 ◽  
Vol 30 (01/02) ◽  
pp. 36-39 ◽  
Author(s):  
A. Schnitzler ◽  
M. Südmeyer ◽  
L. Wojtecki

ZusammenfassungDie Behandlung des M. Parkinson stellt im fortgeschrittenen Stadium eine therapeutische Herausforderung dar. Insbesondere mit dem Auftreten von motorischen Fluktuationen ist eine spezifische Erfassung und Quantifizierung des Bewegungsprofils von entscheidender Bedeutung, um eine Optimierung des medikamentösen Regimes gewährleisten zu können. Häufig ist dieses aufgrund der zeitintensiven Dokumentation nur im stationären Kontext möglich. Dazu bietet die ambulante, videounterstützte Parkinsontherapie eine Alternative, durch welche eine Behandlung mithilfe der Telemedizin im häuslichen Umfeld stattfinden kann. Dabei passt der zuständige Neurologe über einen 30-tägigen Zeitraum die medikamentöse Therapie an, die sich an dem videodokumentierten Bewegungsprofil des jeweiligen Patienten orientiert, und in Zusammenarbeit mit einem auf Bewegungsstörungen spezialisierten Klinikum durchgeführt wird. Die telemedizinische Therapieüberwachung bei M. Parkinson hat sich als effiziente Behandlungsalternative erwiesen, die sich durch eine hohe Patientenzufriedenheit auszeichnet; die Honorierung ist über einen Rahmenvertrag des Bundes Deutscher Neurologen (BDN) geregelt.


2018 ◽  
Vol 24 (02) ◽  
pp. 95-103
Author(s):  
Christoph de Millas ◽  
Anne Zimmermann ◽  
Ariane Höer

Zusammenfassung Zielsetzung Gonadotropin-Releasing-Hormon-Analoga (GnRH-Analoga) sind der Therapiestandard bei der Behandlung von fortgeschrittenem Prostatakrebs. Vier GnRH-Analoga (Buserelin, Goserelin, Leuprorelin und Triptorelin) waren 2015 und 2016 verfügbar. Nur Leuprorelin war generisch verfügbar. Es wurde modelliert, ob für die gesetzlichen Krankenkassen Einsparpotenziale im Bereich der GnRH-Analoga bestehen, wenn regionale Unterschiede im Verschreibungsverhalten aufgehoben werden. Methodik Datengrundlage waren monatliche ambulante Verordnungsdaten von IQVIA auf Ebene der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und gesetzlichen Krankenkassen (GKV). Auf Basis von zwei Benchmarks wurden regionale Einsparpotenziale berechnet. Der erste Benchmark ist die größte beobachtete Marktdurchdringung nach Verbrauch – gemessen in definierten Tagesdosen (DDD) – in einem Quartal 2015/2016 in einer KV-Region in Bezug auf den wirtschaftlichsten Wirkstoff. Der zweite Benchmark ist innerhalb des wirtschaftlichsten Wirkstoffs die größte beobachtete Marktdurchdringung des preisgünstigsten Produktes. Ergebnisse Die Umsätze des GnRH-Marktes in der GKV waren 2015 und 2016 mit 207,7 Mio. bzw. 212,3 Mio. relativ stabil. Leuprorelin war mit einem Marktanteil von 69,9 % (Q4 2016) das umsatzstärkste GnRH-Analogon. Innerhalb des Leuprorelin-Marktes ist der Erstanbieter mit 59,6 % Marktführer, während das einzige Generikum im Markt einen Anteil von 18,1 % erreichte (Q4 2016). Leuprorelin-Generika (4,51 Euro/DDD) stellen die wirtschaftlichste Alternative im Vergleich zu den übrigen Leuprorelin-Produkten (5,55 Euro/DDD) bzw. GnRH-Analoga (6,02 Euro/DDD) dar. Die Marktanteile nach Verbrauch (DDD) schwankten in den KVen für Leuprorelin im Q4 2016 zwischen 63,0 % und 79,7 %. Innerhalb des Leuprorelin-Marktes lagen die regionalen Generikaanteile zwischen 7,8 % und 39,5 %. Dabei wurde in KVen mit „Leitsubstanzquoten“ im Beobachtungszeitraum tendenziell höhere Einsparpotentiale erzielt. Regelungen zu Gunsten von Leuprorelin hatten im Betrachtungszeitraum vier von 17 KVen. In fünf KVen wurde eine entsprechende Regelung 2017 neu eingeführt. Die GKV hätte 2015 und 2016 insgesamt 20,6 Mio. Euro einsparen können, wenn in allen KV-Regionen die Benchmarks erreicht worden wären. Schlussfolgerung Die Ergebnisse zeigen einen niedrigen Marktanteil für das Leuprorelin-Generikum und starke regionale Unterschiede in der Marktverteilung. Klassische Instrumente der GKV zur Förderung von Generika greifen in diesem Fall nicht. Leitsubstanzregelungen können eine wirtschaftliche Verordnungsweise fördern, indem sie die Marktdurchdringung von Generika erhöhen. Sie werden daher verstärkt vereinbart. Es sind dadurch substantielle Einsparungen bei gleichbleibender Versorgungsqualität möglich.


2007 ◽  
Vol 64 (1) ◽  
pp. 15-20 ◽  
Author(s):  
Waldvogel

Unser konzeptuelles Verständnis der Parkinson’schen Erkrankung hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Wir verstehen heute unter Parkinson nicht nur eine Erkrankung des motorischen Systems, sondern auch eine Erkrankung mit nicht-motorischen Symptomen, deren Bedeutung für die Lebensqualität des Patienten und der Angehörigen enorm ist. Nach Jahren der Erkrankung kommen obligat Komplikationen der Therapie hinzu. Nach dem Vorliegen nicht-motorischer Symptome und Therapiekomplikationen soll aktiv gefragt werden, da sie oft weder von den Patienten noch den Angehörigen spontan mitgeteilt werden, sei es aus Scham, sei es, dass sie nicht als mit dem Parkinson assoziierte Probleme erkannt werden. Eine zufriedenstellende Therapie der Parkinson’schen Erkrankung setzt das Erkennen und Behandeln aller Symptome voraus, weshalb im folgenden Artikel auch auf die nicht-motorischen Probleme und Therapiekomplikationen eingegangen werden soll.


Sign in / Sign up

Export Citation Format

Share Document