Der psychotechnologische Komplex – Die Automatisierung mentaler Prozesse als demokratietheoretisches Problem
ZusammenfassungDie Digitalisierung umfasst neben vielen anderen Aspekten auch die Automatisierung psychischer Prozesse. Damit wird allerdings ein wesentlicher Aspekt für ein demokratisches und progressives Politikverständnis unterlaufen. Der Artikel setzt sich mit der Verflechtung von Psyche, Technik und Politik zunächst anhand einer Diskussion des französischen Philosophen Bernard Stiegler (1952–2020) auseinander, der in seinen späteren Arbeiten Medien als Psychotechnologien zu konzipieren begann und dafür plädierte, die seit Foucault in vielen Disziplinen häufig gebrauchte Kategorie der Biomacht um diejenige der „Psychomacht“ zu ergänzen. Der in dieser Diskussion ebenfalls aufblitzende Begriff „Psychopolitik“ wird anschließend mit zwei deutschsprachigen Theoretiker*innen, Alexandra Rau und Byung-Chul Han, konkretisiert. Auf dieser begrifflichen wie zeitdiagnostischen Grundlage wird in der zweiten Hälfte des Artikels das „psychotechnologische Arsenal“ der Gegenwart umrissen: Gemeint sind damit jene digitaltechnologischen Innovationen, die auf die Beeinflussung psychischer Prozesse von Nutzer*innen abzielen, und zu denen man u. a. persuasive technologies, Micro-Targeting, Apps für Wellness und psychische Gesundheit sowie affective computing zählen kann. All diese Entwicklungen erzwingen zum Schluss eine Auseinandersetzung mit der vielfach beobachteten Rückkehr des Behaviorismus unter datenwissenschaftlichem Vorzeichen sowie mit der Frage, wie die Fähigkeit zu politischem Handeln innerhalb dieser Konstellation noch bewahrt werden kann, bevor der im Entstehen begriffene „psychotechnologische Paternalismus“ die psychische Kapazitäten zur freien Deliberation und vor allem auch zur politischen Imagination völlig außer Gefecht setzt.