Aneignung oder Entfremdung? Das Bedürfnis nach Sinn und die provozierende Frage nach einer „geglückten Psychose“

2018 ◽  
Vol 45 (S 01) ◽  
pp. S26-S30
Author(s):  
Thomas Bock

ZusammenfassungWelche Sicht auf psychische Erkrankungen, vor allem Psychosen, hilft dem Patienten, die eigene Erfahrung (wieder) anzueignen, und anderen, keine soziale Distanz entstehen zu lassen. Kann die Psychiatrie lernen und dann auch lehren, die Besonderheiten der Menschen nicht nur pathologisch als Fremdheit und Normabweichung, sondern auch anthropologisch als zutiefst menschliche Ausprägung auf einem Kontinuum zu begreifen? Welche Bedeutung können Kategorien wie Sinn und Glück in diesem Zusammenhang haben? – Die Abhandlung versucht zu skizzieren, welche Sichtweise auf psychische Erkrankung und welche therapeutische Haltung hilfreich sind, damit sich Krankheit und Glück nicht ausschließen.

2017 ◽  
Vol 65 (4) ◽  
pp. 219-229 ◽  
Author(s):  
Lisa-Marina Fritz ◽  
Sabine Domin ◽  
Annekatrin Thies ◽  
Julia Yang ◽  
Martin Stolle ◽  
...  

Zusammenfassung. Psychisch erkrankte Eltern erleben mehr elterlichen Stress als psychisch gesunde Eltern. Elterliche psychische Erkrankungen sowie elterlicher Stress sind mit ungünstigen Erziehungspraktiken assoziiert. Kinder psychisch erkrankter Eltern haben ein erhöhtes Risiko, ebenfalls psychisch zu erkranken. Psychische Auffälligkeiten des Kindes und das elterliche Stresserleben beeinflussen sich wiederum wechselseitig. Komplexe Maßnahmen erscheinen notwendig, die die elterliche psychische Erkrankung, die elterliche Stressbelastung, psychische Erkrankungen des Kindes und die Eltern-Kind-Interaktion gleichermaßen berücksichtigen. Das Eltern-Kind-Projekt des Ev. Krankenhauses Alsterdorf in Hamburg bietet im Verbund mit dem Werner Otto Institut ein stationäres Behandlungsprogramm, in dem psychisch erkrankte Elternteile und ihr ebenfalls psychisch erkranktes Kind gemeinsam aufgenommen werden. Für diese psychisch erkrankten Elternteile wurde das Gruppenprogramm SEEK (Seelische Erkrankungen, Eltern und Kinder) entwickelt, das die Themen Elternschaft und psychische Erkrankung behandelt. Eine klinische Gruppe (N = 28) nahm während ihres stationären Aufenthaltes zusätzlich zum üblichen Behandlungsprogramm am Gruppenprogramm SEEK teil, eine Vergleichsgruppe (N = 26) durchlief das übliche Behandlungsprogramm. Die elterliche Stressbelastung wurde zu Beginn und am Ende des stationären Aufenthaltes in beiden Gruppen anhand des Eltern-Belastungs-Inventars (EBI) sowie zwei selbst entwickelter Items erhoben. Elterliche psychische Symptome wurden zu Beginn und am Ende des stationären Aufenthaltes in beiden Gruppen anhand der Hopkins-Symptom-Checkliste-25 (HSCL-25) erfasst. Die Ergebnisse zeigen die hohe Belastung der Elternteile in dieser Stichprobe. Am Ende des stationären Aufenthaltes waren in beiden Gruppen die elterliche Stressbelastung sowie die psychische Belastung signifikant reduziert: In der klinischen Gruppe reduzierte sich die mittlere Belastung im Elternbereich (EBI) von M = 81.82 auf M = 74.39, in der Vergleichsgruppe von M = 80.85 auf M = 74.92. Die mittlere Belastung im Kindbereich (EBI) verringerte sich in der klinischen Gruppe von M = 68.75 auf M = 63.04, in der Vergleichsgruppe von M = 74.65 auf M = 68.15. Die mittlere Symptombelastung im Bereich Angst (HSCL-25) reduzierte sich in der klinischen Gruppe von M = 21.25 auf M = 18.71, in der Vergleichsgruppe von M = 20.88 auf M = 17.69. Im Bereich Depression (HSCL-25) verringerte sich die mittlere Symptombelastung in der klinischen Gruppe von M = 33.57 auf M = 28.50, in der Vergleichsgruppe von M = 33.27 auf M = 25.96. Jedoch ergaben sich keine signifikanten Unterschiede in der elterlichen Stressbelastung und in der psychischen Belastung zwischen den Gruppen.


2021 ◽  
Author(s):  
Dusan Hirjak ◽  
Ulrich Reininghaus ◽  
Urs Braun ◽  
Markus Sack ◽  
Heike Tost ◽  
...  

ZusammenfassungPsychische Erkrankungen sind weit verbreitet und ein bedeutendes Problem des allgemeinen Gesundheitswesens. Das Risiko, irgendwann im Laufe des Lebens eine psychische Erkrankung zu entwickeln, liegt bei rund 40 %. Psychische Erkrankungen zählen damit zu den epidemiologisch bedeutsamsten Erkrankungen. Trotz der Einführung neuerer Psychopharmaka, störungsspezifischer Psychotherapie und Stimulationstechniken zeigen viele der Betroffenen immer noch eine unzureichende Symptomremission und einen chronischen Verlauf. Durch den konzeptuellen und technischen Fortschritt der letzten Jahre wird eine neue, flexiblere und personalisierte Form der fachpsychiatrischen Patientenversorgung ermöglicht. Sowohl die traditionellen Therapie- und Organisationskonzepte als auch neuere dezentral arbeitende, modular aufgebaute, stationär-teilstationär-ambulante Einheiten werden zusammen mit innovativen digitalen Technologien vielen betroffenen Menschen mit psychischen Erkrankungen individualisierte Therapieoptionen bieten, welche ihre Symptome bestmöglich lindern und ihre Lebensqualität erheblich verbessern könnten. Das primäre Ziel der engen Verknüpfung von modernen Versorgungskonzepten und innovativen Technologien ist es, ein umfassendes Therapie- und Nachsorgekonzept (innerhalb und außerhalb der Klinik) für die individuellen Bedürfnisse von Menschen mit psychischer Erkrankung bereitzustellen. Nicht zuletzt wird dadurch auch eine ortsunabhängige Verfügbarkeit der fachärztlichen Behandlung erreicht. In der Psychiatrie des 21. Jahrhunderts müssen moderne Versorgungsstrukturen mit der aktuellen Dynamik der digitalen Transformation effektiv verknüpft werden. Die vorliegende selektive Übersichtsarbeit widmet sich den theoretischen und praktischen Gesichtspunkten eines sektorenübergreifenden Behandlungssystems kombiniert mit innovativen digitalen Technologien im psychiatrisch-psychotherapeutischen Fachbereich am Beispiel des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim.


2016 ◽  
Vol 24 (2) ◽  
pp. 104-107 ◽  
Author(s):  
Manfred Wolfersdorf ◽  
Walter Rätzel-Kürzdörfer

Zusammenfassung: In einer modernen Dienstleistungsgesellschaft mit hohen Anpassungsanforderungen an sich ändernde Arbeits- und Sozialbeziehungen werden psychische Erkrankungen immer bedeutsamer für Public Health Entscheidungen. Arbeitsunfähigkeitstage, Frühberentungen und Krankschreibungen wegen psychischer Störungen haben in den letzten 10 Jahren deutlich zugenommen. Die Depression ist darunter die häufigste und wegen der großen Nähe zu Hoffnungslosigkeit, Suizidalität und Chronifizierung auch die bedrohlichste psychische Erkrankung.


2009 ◽  
Vol 6 (04) ◽  
pp. 209-212 ◽  
Author(s):  
A. Kersting

ZusammenfassungKinder psychisch kranker Eltern haben selbst ein erhöhtes psychiatrisches Erkrankungsrisiko. Wissenschaftliche Untersuchungen haben für eine Reihe psychischer Erkrankungen ein genetisches Risiko nachgewiesen. Darüber hinaus können auch Umweltfaktoren, wie das durch die elterliche psychische Erkrankung beeinträchtigte Erziehungsverhalten zu einem erhöhten Risiko für eine psychische Erkrankung von Kindern psychisch kranker Eltern beitragen. Psychische Erkrankungen sind darüber hinaus mit einer Vielzahl psychosozialer Belastungsfaktoren verbunden, die ebenfalls einen Risikofaktor für Beeinträchtigungen der kindlichen Entwicklung darstellen können. Neben einer fachspezifischen Behandlung der elterlichen Erkrankung können Präventionskonzepte für Kinder psychisch kranker Eltern dazu beitragen, das kindliche Erkrankungsrisiko zu senken.


2004 ◽  
Vol 15 (3) ◽  
pp. 209-218 ◽  
Author(s):  
Alexander Brunnauer ◽  
Gerd Laux ◽  
Gerd Laux ◽  
Elisabeth Geiger

Zusammenfassung: Psychische Erkrankungen gehen oft mit Störungen der Informationsverarbeitung einher, die bei den Betroffenen zu Beeinträchtigungen in weiten Bereichen des alltäglichen Lebens führen können. Ein Beispiel für die vielfältigen Alltagsrisiken stellt der Straßenverkehr dar. Die epidemiologische Datenlage in Bezug auf Unfallrisiken von psychiatrischen Patienten unter Psychopharmaka ist jedoch dünn und von einer Reihe von methodischen Problemen gekennzeichnet. Einige Untersuchungen weisen auf ein erhöhtes Risiko von psychiatrischen Patienten hin, in einen Verkehrsunfall verwickelt zu werden. Eine pauschale Bewertung von Arzneimitteln, die die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen können ist nicht möglich. Unter den potenziell verkehrsbeeinträchtigenden Psychopharmaka stehen Tranquilizer und Hypnotika an erster Stelle. Im Gegensatz zu vielen trizyklischen Antidepressiva führen neuere selektive Antidepressiva zu keinen signifikanten Beeinträchtigungen psychomotorischer und kognitiver Funktionen. Neuere atypische Antipsychotika scheinen hinsichtlich Vigilanz und Psychomotorik Vorteile gegenüber konventionellen Neuroleptika zu haben. Die Beratung und Aufklärung von Patienten zu Fragen der Fahrtauglichkeit muss individuell, unter Berücksichtigung des Krankheitsbildes, pharmaka-differenzieller Aspekte sowie beruflichen und sozialen Wiedereingliederungsbemühungen erfolgen.


2018 ◽  
Vol 37 (01/02) ◽  
pp. 38-42
Author(s):  
K. Henkel

ZusammenfassungEs besteht eine hohe Komorbidität zwischen primären Kopfschmerzen und psychischen Erkrankungen. Eine gegenseitige Verstärkung und gemeinsame ätiologische Faktoren werden vermutet und wurden zum Teil nachgewiesen, so zum Beispiel bei Migräne und Depressionen. Eine nosologische Einteilung als sekundärer “Kopfschmerz zurückzuführen auf eine psychiatrische Störung“ verlangt eine hinreichende Evidenz für eine Auslösung oder wesentliche Verstärkung des Kopfschmerzes durch die psychische Erkrankung. Dieser Nachweis kann nur in Einzelfällen erfolgen. Größere systematische Untersuchungen fehlen. Die International Classification of Headache Disorders der International Headache Society erkennt auch in ihrer dritten Auflage (Beta-Version) nur die Somatisierungsstörung und die psychotische Störung als mögliche psychische Erkrankungen für die Auslösung sekundärer Kopfschmerzen an. Im Anhang der Klassifikation finden sich weitere psychische Erkrankungen, die möglicherweise sekundäre Kopfschmerzen auslösen können. Weitere prospektive und Längsschnittstudien sind nötig, um diese Zusammenhänge künftig besser beurteilen zu können.


2018 ◽  
Vol 37 (01) ◽  
pp. 38-42 ◽  
Author(s):  
K. Henkel

ZusammenfassungEs besteht eine hohe Komorbidität zwischen primären Kopfschmerzen und psychischen Erkrankungen. Eine gegenseitige Verstärkung und gemeinsame ätiologische Faktoren werden vermutet und wurden zum Teil nachgewiesen, so zum Beispiel bei Migräne und Depressionen. Eine nosologische Einteilung als sekundärer “Kopfschmerz zurückzuführen auf eine psychiatrische Störung“ verlangt eine hinreichende Evidenz für eine Auslösung oder wesentliche Verstärkung des Kopfschmerzes durch die psychische Erkrankung. Dieser Nachweis kann nur in Einzelfällen erfolgen. Größere systematische Untersuchungen fehlen. Die International Classification of Headache Disorders der International Headache Society erkennt auch in ihrer dritten Auflage (Beta-Version) nur die Somatisierungsstörung und die psychotische Störung als mögliche psychische Erkrankungen für die Auslösung sekundärer Kopfschmerzen an. Im Anhang der Klassifikation finden sich weitere psychische Erkrankungen, die möglicherweise sekundäre Kopfschmerzen auslösen können. Weitere prospektive und Längsschnittstudien sind nötig, um diese Zusammenhänge künftig besser beurteilen zu können.


2014 ◽  
Vol 71 (11) ◽  
pp. 687-694 ◽  
Author(s):  
Dieter Riemann

Chronische Insomnie, d. h. Klagen über Ein- und Durchschlafstörungen, frühmorgendliches Erwachen und damit verbundene Beeinträchtigung der Befindlichkeit während des Tages betreffen etwa 10 % der Bevölkerung in den meisten westlichen Industrienationen. Ursächlich für chronische Schlaflosigkeit können körperliche Erkrankungen, psychische Erkrankungen, die Einnahme von Medikamenten, Genussmittel oder Drogen sein. Ein Drittel aller chronischen Insomnien wird als primäre Insomnie oder insomnische Störung bezeichnet, wenn keiner der oben genannten Faktoren ursächlich identifiziert werden kann. Üblicherweise werden chronische Insomnien in der ärztlichen Praxis medikamentös mit Hypnotika oder anderen sedierenden Substanzen, wie etwa sedierenden Antidepressiva behandelt. In den letzten 20 Jahren hat sich gezeigt, dass kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansätze (KVT) bei chronischen Insomnien auch unabhängig von der Ursache erfolgreich eingesetzt werden können. Zu den Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie gehört die Aufklärung über Schlaf und Schlafhygiene (Psychoedukation), Entspannungstechniken wie etwa die progressive Muskelentspannung, spezifische verhaltenstherapeutische Techniken wie etwa die Stimuluskontrolle oder die Schlafrestriktion sowie kognitive Techniken zur Reduktion nächtlicher Grübeleien. Aufgrund von mehreren, in den letzten Jahren veröffentlichten Meta-Analysen können diese Techniken insbesondere in ihrer Applikation als Kombinationstherapie, als evidenz-basiert und der pharmakologischen Therapie als kurzzeitig gleichwertig und langfristig überlegen angesehen werden. Die kognitiv-verhaltenstherapeutischen Techniken der Insomniebehandlung können von darin geschulten Ärzten und Psychotherapeuten mit Erfolg eingesetzt werden.


2007 ◽  
Vol 20 (2-3) ◽  
pp. 89-97
Author(s):  
Lutz Michael Drach ◽  
Brigitte Terner

Zusammenfassung: Ein Mangel an sozialen Aktivitäten ist ein wesentlicher Risikofaktor für psychische Erkrankungen im Alter, insbesondere für Depressionen. Ältere psychisch Kranke haben krankheitsbedingt häufig ihre sozialen Beziehungen stark eingeschränkt und erleben dies oft als schwere Beeinträchtigung. Außerdem hängt die Prognose der psychischen Erkrankung nach der Entlassung von der erfolgreichen Wiederaufnahme der sozialen Aktivitäten ab. Zwei Umfragen in den 60 gerontopsychiatrischen Tageskliniken in Deutschland ergaben, dass im überwiegenden Teil soziale Aktivierung fester Bestandteil des Therapieprogramms ist. Dabei zeigten sich aber erhebliche Unterschiede im Vorgehen. Die große Mehrheit der antwortenden Tageskliniken nutzte hierzu entweder ausschließlich offene Seniorenangebote am Wohnort des Patienten, oder in Kombination mit dem Besuch sozialpsychiatrischer Einrichtungen. Nur eine kleine Minderheit aktivierte ausschließlich in sozialpsychiatrischen Einrichtungen. Dabei begleitete der überwiegende Teil der Tageskliniken die Patienten entweder ständig oder mindestens initial. Dagegen praktizierten fünf überwiegend verhaltenstherapeutisch orientierte Tageskliniken schon von Anfang an eine Aktivierung ohne therapeutische Begleitung. Die möglichen Gründe für diese Varianz könnten in Unterschieden bei den Patienten, dem lokalen Angebot an Senioreneinrichtungen oder anderen örtlichen Besonderheiten liegen.


2017 ◽  
Vol 65 (4) ◽  
pp. 207-208
Author(s):  
Franz Petermann

Zusammenfassung. In vielfältiger Weise können Stressoren (z.B. Arbeitsbelastungen, kritische und traumatisierende Ereignisse, Mobbing, psychische Erkrankungen der Eltern), unterschiedlich gut bewältigbare Anforderungen darstellen. Das Stressempfinden hängt entscheidend davon ab, wie man die eigenen Bewältigungskompetenzen einschätzt. Misslingt eine angemessene Stressbewältigung, dann führt chronischer Stress zu einem körperlichen, kognitiven und emotionalen Erschöpfungszustand, Depression und psychosomatischen Reaktionen.


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