Von den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen in ICD-10 zur Autismus-Spektrum-Störung in ICD-11

Author(s):  
Christine M. Freitag

Zusammenfassung. In dem Artikel werden die neuen Diagnosekriterien der Autismus-Spektrum-Störung nach ICD-11 der Klassifikation nach ICD-10 sowie nach DSM-5 gegenübergestellt. Es erfolgt eine Bewertung der Änderungen sowie eine Empfehlung hinsichtlich der Klassifikation nach dem multiaxialen Klassifikationsschema. Da die ICD-11 in vielen Aspekten der Klassifikation nach DSM-5 ähnelt, ist eine Konsolidierung der Prävalenz von Autismus-Spektrum-Störungen bei einem Wechsel von ICD-10 auf ICD-11 zu erwarten. Insbesondere aufgrund des Wegfalls der Diagnose „atypischer Autismus“ wird eine etwas geringer Prävalenz von Autismus-Spektrum-Störungen nach ICD-11 im Vergleich zu ICD-10 zu erwarten sein. Die Sensitivität der Diagnosekriterien wird weiterhin sehr hoch sein, die Spezifität könnte möglicherweise ansteigen. Falls ähnliche Ergebnisse für die ICD-11 wie für das DSM-5 gefunden werden, würde das für eine verbesserte diagnostische Validität der ICD-11-Kriterien gegenüber ICD-10 sprechen.

2020 ◽  
Vol 59 (05) ◽  
pp. 298-302
Author(s):  
Lili Kreutzer ◽  
Volker Köllner

ZusammenfassungWir berichten über einen 36-jährigen Patienten, welcher nach einer beruflichen Konfrontation mit Darstellungen von Gewalt an Tieren, sexueller Gewalt sowie körperlicher Gewalt über digitale Medien in seiner Position als social media content moderator die klassischen Symptome einer PTBS entwickelte.Nach 10 monatiger Arbeitsunfähigkeit kam der Patient zur sozialmedizinischen Einschätzung zur Rehabilitation. Obwohl aufgrund der hohen Resilienz und Motivationslage des Patienten von einer Regeneration binnen der kommenden 6 Monate und einer Neuorientierung auf dem Allgemeinen Arbeitsmarkt ausgegangen wurde, wurde seine Leistungsfähigkeit hinsichtlich seiner letzten sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit vollständig aufgehoben eingeschätzt.Diese sekundäre, digitale Art der Traumatisierung ist in der aktuell gültigen Version des ICD-10 nicht aufgeführt, wird aber bereits in den A4 Kriterien des DSM-5 beschrieben. Hier wird eine Exposition über elektronische Instrumente, Television, Filme oder Fotografien ausgeschlossen, es sei denn die Exposition ist beruflich bedingt.Anhand dieses Beispiels werden Risiken für die mentale Gesundheit durch digitale Faktoren während der Arbeit, sowie deren sozialmedizinischen und versicherungstechnischen Folgen dargestellt.


Author(s):  
Frauke Schultze-Lutter ◽  
Eva Meisenzahl ◽  
Chantal Michel

Zusammenfassung. Es wird eine Übersicht über die hauptsächlichen Änderungen des neu benannten Kapitels „Schizophrenie oder andere primäre psychotische Störungen“ (6A2) von ICD-10 zu ICD-11 gegeben und diese mit der Psychosekategorie des DSM-5 verglichen. Die Änderungen umfassen den Verzicht auf die klassischen Subtypen der Schizophrenie sowie die Aufgabe des Primats Schneider’scher Erstrangsymptome und damit verbunden die Forderung von mindestens zwei Leitsymptomen (obligatorisch mindestens ein Positivsymptom) bei der Schizophrenie (6A20) sowie Zulassung bizarrer Wahninhalte auch bei „Wahnhaften Störungen“ (6A24), die neu auch induzierte wahnhafte Störungen (F24) beinhalten. Neu sind zudem der Fokus auf die jeweils aktuelle Episode, die Beschränkung der „Akuten und vorübergehenden psychotischen Störung“ (6A23) auf die polymorphe Störung ohne Symptome der Schizophrenie (F23.0), die Kodierung wahnhafter „Zwangs- und verwandter Störungen“ (6B2) ausschließlich unter den Zwangsstörungen, die Präzisierung der „Schizoaffektiven Störung“ (6A21) und die Einführung einer eigenen Kategorie „Katatonie“ (6A4) zur Beschreibung katatoner Symptome innerhalb verschiedener Krankheitsbilder. In Analogie zum DSM-5 steht zudem die optionale Zusatzkategorie „Symptomatische Manifestation primärer psychotischer Störungen“ (6A25) zur dimensionalen Symptomquantifizierung zur Verfügung. Entwicklungsspezifischen Besonderheiten wird auch in der ICD-11 in der Definition psychotischer Störungen keine Rechnung getragen.


2014 ◽  
Vol 71 (10) ◽  
pp. 599-607 ◽  
Author(s):  
Martin Neuenschwander

Digitale Medien sind mittlerweile unentbehrlich in Schule, Beruf, Familie und Freizeit und durchdringen unseren Alltag immer stärker. Dazu vermögen sie die Menschen aller Altersstufen zu faszinieren dank vielfältiger und immer neuer Nutzungsmöglichkeiten für Kommunikation, Unterhaltung und Spiel. Von großer Relevanz sind diesbezüglich insbesondere soziale Netzwerke und Onlinespiele, an denen sich täglich Millionen beteiligen. Der Großteil der Bevölkerung nutzt diese interaktiven Medien funktional, selbstbestimmt und genussvoll. Andererseits belegen empirische Studien, dass eine Minderheit von 1 % bis 6 % ein dysfunktionales, suchtartiges Verhalten zeigt, typischerweise bei der Onlinekommunikation, beim Computerspiel oder beim Konsum von erotisch-pornografischem Bildmaterial. Das Störungsbild „Onlinesucht“ ist zwar eine Realität, figuriert bisher aber nicht als offizielle Diagnose in den Klassifikationssystemen ICD-10 und DSM-5. Die Fachdiskussion über die nosologische Einordnung des Störungsbildes ist noch im Gang. Für die klinische Praxis existieren allerdings bereits jetzt valide diagnostische Hilfestellungen. Da das zur Verfügung stehende professionelle Beratungs- und Therapieangebot nur spärlich in Anspruch genommen wird, kommt der medizinischen Grundversorgung für die Früherkennung und Triage hinsichtlich adäquater Interventionen eine wichtige Bedeutung zu. Im deutschsprachigen Raum stehen verschiedene webbasierte Plattformen für Prävention, Beratung und Therapie zur Verfügung.


Author(s):  
Dirk K. Wolter

Zusammenfassung. Zielsetzung: Übersicht über Suchtpotenzial und andere Risiken von Opioidanalgetika im höheren Lebensalter. Methodik: Narrativ review. Literaturrecherche in PubMed (Suchbegriffe: opioid analgesics UND abuse; opioid analgesics UND dependence; opioid analgesics UND addiction; opioid analgesics UND adverse effects; jeweils UND elderly) sowie aktuellen einschlägigen Standardwerken; Auswahl nach altersmedizinischer Relevanz und Aktualität. Ergebnisse: Die Verordnung von Opioidanalgetika (OA) hat in den letzten 25 Jahren massiv zugenommen, die weitaus meisten Verordnungen entfallen auf alte Menschen und Menschen mit chronischen Nicht-Tumorschmerzen (CNTS). Die diagnostischen Kriterien für die Opiatabhängigkeit in ICD-10 und DSM-5 sind für die OA-Behandlung von CNTS ungeeignet. Bei langfristiger OA-Behandlung bei CNTS kann eine spezifische Form von Abhängigkeit entstehen, die nicht mit der illegalen Opiat-(Heroin-)Sucht gleichzusetzen ist. Vorbestehende Suchterkrankungen und andere psychische Störungen sind die wesentlichsten Risikofaktoren. Weitere Nebenwirkungen sind zu beachten. Schmerztherapie bei Suchtkranken stellt eine besondere Herausforderung dar. Schlussfolgerungen: Die Anwendung von OA bei CNTS verlangt eine sorgfältige Indikationsstellung. Die besondere Form der Abhängigkeit von OA ist nicht ausreichend erforscht und wird zu wenig beachtet.


Author(s):  
Timo D. Vloet ◽  
Marcel Romanos

Zusammenfassung. Hintergrund: Nach 12 Jahren Entwicklung wird die 11. Version der International Classification of Diseases (ICD-11) von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Januar 2022 in Kraft treten. Methodik: Im Rahmen eines selektiven Übersichtsartikels werden die Veränderungen im Hinblick auf die Klassifikation von Angststörungen von der ICD-10 zur ICD-11 zusammenfassend dargestellt. Ergebnis: Die diagnostischen Kriterien der generalisierten Angststörung, Agoraphobie und spezifischen Phobien werden angepasst. Die ICD-11 wird auf Basis einer Lebenszeitachse neu organisiert, sodass die kindesaltersspezifischen Kategorien der ICD-10 aufgelöst werden. Die Trennungsangststörung und der selektive Mutismus werden damit den „regulären“ Angststörungen zugeordnet und können zukünftig auch im Erwachsenenalter diagnostiziert werden. Neu ist ebenso, dass verschiedene Symptomdimensionen der Angst ohne kategoriale Diagnose verschlüsselt werden können. Diskussion: Die Veränderungen im Bereich der Angsterkrankungen umfassen verschiedene Aspekte und sind in der Gesamtschau nicht unerheblich. Positiv zu bewerten ist die Einführung einer Lebenszeitachse und Parallelisierung mit dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5). Schlussfolgerungen: Die entwicklungsbezogene Neuorganisation in der ICD-11 wird auch eine verstärkte längsschnittliche Betrachtung von Angststörungen in der Klinik sowie Forschung zur Folge haben. Damit rückt insbesondere die Präventionsforschung weiter in den Fokus.


Author(s):  
Christine M. Freitag
Keyword(s):  
Dsm 5 ◽  
Icd 10 ◽  

Die Autismus-Spektrum Störung (ASS) wird in DSM-5 als eine Erkrankung aus den ICD-10 bzw. DSM-IV TR-Diagnosen frühkindlicher Autismus, Asperger Syndrom und atypischer Autismus/PDD-nos zusammengefasst und weist entsprechend revidierte Kriterien auf. In dem vorliegenden Artikel werden diese Kriterien vergleichend dargestellt, Studien zu Validität und Reliabilität der neuen ASS-Diagnose präsentiert und offene Fragen diskutiert. Ein Ausblick auf die klinische und wissenschaftliche Bedeutung wird gegeben.


Author(s):  
Gerd Schulte-Körne
Keyword(s):  

Mit der Publikation des DSM-5 wurden Veränderungen in der Klassifikation und den Empfehlungen zur Diagnostik der spezifischen Lernstörungen vorgenommen. Die Störungskonzepte dyslexia und dyscalculia wurden wieder in das DSM aufgenommen. Drei spezifische Lernstörungen – die mit Beeinträchtigung im Lesen, mit Beeinträchtigung im schriftsprachlichen Ausdruck und mit Beeinträchtigung in Mathematik – werden unterschieden, die durch störungsrelevante Teilkomponenten näher beschrieben sind. Hierzu gehören bei der Lesestörung drei Teilkomponenten, die Lesegeschwindigkeit, die Lesegenauigkeit und das Leseverständnis. Bei der Störung des schriftsprachlichen Ausdrucks sind es die Rechtschreibfehler, Beeinträchtigung im Bereich der Grammatik und Zeichensetzung und die Beeinträchtigung in der Klarheit und Organisation der Textproduktion. Vier Teilkomponenten sind es bei der Rechenstörung: das eingeschränkte Zahlenverständnis, arithmetische Faktenwissen, schnelle und akkurate Grundrechenfertigkeiten und akkurates mathematisch schlussfolgerndes Denken. Es wird empfohlen, jede Störung einzeln zu kodieren und die Teilkomponenten zu beschreiben. Eine Schweregradbeschreibung wurde neu eingeführt. Die Diagnostik beruht auf einer Vielzahl von Methoden, hierzu gehören Anamnese, klinisches Interview, Schulbericht, Lehrerbewertung, Beurteilungsskalen und psychometrisches Tests. Das IQ-Diskrepanz-Kriterium wurde aufgegeben, das Alters- bzw. Klassen-Diskrepanzkriterium beibehalten. Zur Anwendung wird eine Diskrepanz von 1 bis 2.5 Standardabweichungen empfohlen. Bei allen drei spezifischen Lernstörungen handelt es sich um häufige (Prävalenz 5 %-15 %), früh mit der Unterrichtung beginnende Störungen, die bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben.


Author(s):  
Inge Kamp-Becker ◽  
Klaus Baumann ◽  
Linda Sprenger ◽  
Katja Becker

Fragestellung: Die «Multiple complex developmental disorder» (MCDD) ist ein wenig bekanntes Störungsbild, das durch Auffälligkeiten in der Emotionsregulation, der sozialen Interaktion und Denkstörungen gekennzeichnet ist. Weder im Klassifikationssystem des ICD-10, noch im DSM-IV kommt diese Diagnose vor. Methodik: In der vorliegenden Arbeit wird eine Übersicht über die diagnostischen Kriterien und den aktuellen Forschungsstand zum Konzept der MCDD gegeben und anhand einer Kasuistik eines 17-jährigen Jugendlichen illustriert. Ergebnis: Das Störungsbild der MCDD weist Überschneidungen zu autistischen Störungen, aber auch zu Störungen aus dem schizophrenen Formenkreis auf. Eine klare Abgrenzung bzw. Zuordnung ist bisher nicht eindeutig möglich. Schlussfolgerungen: Viele Fragen bezüglich des Störungsbildes bleiben offen, weitere Forschung ist hier vonnöten.


2015 ◽  
Vol 63 (3) ◽  
pp. 181-186 ◽  
Author(s):  
Paul L. Plener ◽  
Rebecca C. Groschwitz ◽  
Cindy Franke ◽  
Jörg M. Fegert ◽  
Harald J. Freyberger

Die Adoleszenz ist häufig die Lebensphase, in der sich psychiatrische Phänomene des Erwachsenenalters erstmals manifestieren. Darüber hinaus stellt sie auch eine Phase des Übergangs zwischen den Versorgungssystemen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und dem der Psychiatrie und Psychotherapie des Erwachsenenalters dar. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der stationären psychiatrischen Versorgungssituation der Adoleszenten in Deutschland. Berichtet wird eine Analyse der stationären psychiatrischen Versorgung in der Altersgruppe der 15- bis 25-Jährigen in Deutschland in den Jahren 2003 bis 2012, basierend auf Krankenhaus Entlassdiagnosen. Trotz stagnierender Bevölkerungszahlen in der Altersgruppe der 15- bis 25-Jährigen findet sich eine deutliche Zunahme der stationären Behandlungen im Verlauf der letzten 10 Jahre. Es finden sich deutliche Unterschiede in der Häufigkeit der Behandlung von Störungsbildern der Kategorie F8 und F9 in der Altersgruppe der 15- bis unter 20-Jährigen im Vergleich zu den 20- bis unter 25-Jährigen. Die Brüche in den stationären Behandlungsraten der ICD-10 Kategorien F8 und F9 können als Hinweis auf eine mangelhaft ausgebaute Schnittstelle zwischen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und der Psychiatrie und Psychotherapie des Erwachsenenalters gesehen werden. Eine durchgängig über Versorgungssysteme gedachte Adoleszenzpsychiatrie könnte es schaffen diesen Übergang zu erleichtern.


Author(s):  
Jelena Zumbach ◽  
Florian Kolbe ◽  
Bärbel Lübbehüsen ◽  
Ute Koglin

Zusammenfassung. Zielsetzung: Ziel dieser Untersuchung ist es, Häufigkeiten psychischer Auffälligkeiten und Verteilungen nach zugrunde liegenden familienrechtlichen Fragestellungen bei familienpsychologisch begutachteten Kindern und Jugendlichen an einer umfassenden Stichprobe zu ermitteln. Methode: Grundlage für die Erhebung sind 298 psychologische Sachverständigengutachten, die im Zeitraum von 2008 bis 2012 an einem Bremer Gutachteninstitut erstellt wurden. Dies ergibt eine Gesamtstichprobe von N = 496 Kindern und Jugendlichen. Die Datenerhebung und -auswertung erfolgt nach der quantitativen Inhaltsanalyse. Ergebnisse: Bei insgesamt 39.5 % der Kinder und Jugendlichen liegt mindestens eine psychische Auffälligkeit (in Anlehnung an die ICD-10, Kapitel F) vor. Die Komorbiditätsrate liegt insgesamt bei 38.7 %. Psychische Auffälligkeiten im Bereich Entwicklungsstörungen werden bei 12.3 % der Kinder und Jugendlichen berichtet, 22.8 % zeigen Auffälligkeiten im Bereich der Verhaltens- und emotionalen Störungen. Bei 11.5 % der Kinder und Jugendlichen wird von Gewalterfahrungen gegen die eigene Person berichtet. Die Verteilung spezifischer psychischer Auffälligkeiten nach den zugrunde liegenden familienrechtlichen Fragestellungen wird dargestellt. Schlussfolgerungen: Anhand der Ergebnisse konnte in einem explorativen Ansatz ein erster empirischer Überblick über psychische Auffälligkeiten bei den begutachteten Kindern und Jugendlichen an einer umfassenden Stichprobe geliefert werden. Es wird eine hohe Forschungsnotwendigkeit durch weitere Studien deutlich, welche die Verteilung psychischer Störungen und Zusammenhänge mit zugrunde liegenden familienrechtlichen Fragestellungen weiterführend untersuchen.


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